181 Kerzen für 181 einsam Gestorbene © Boris Buchholz

181 Kerzen: Erste Gedenkfeier für einsam Gestorbene

„Es ist eine Gedenk- und keine Trauerfeier“, sagte Amtsarzt Andreas Beyer in seiner Ansprache. Etwa neunzig Menschen waren am vergangenen Sonntagnachmittag in die Kapelle auf dem Lankwitzer Luther-Friedhof gekommen, in die östlichsten Ecke des Bezirks. Über die Verstorbenen, derer heute gedacht werde, so der Arzt, wisse man wenig. „Doch wirkliche Trauer setzt einen persönlichen Bezug voraus“, erklärte er. Zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 1. September 2019 musste das Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf 181 Menschen beerdigen – sie waren einsam gestorben, Angehörige waren nicht auszumachen.

„Wir gedenken 181 Menschen, die in unserer Mitte gelebt haben“,sagte Pfarrerin Susanne Peters-Streu vom Kirchenkreis Steglitz mit klarer Stimme. Wir hätten sie auf der Straße gesehen, „sie saßen neben uns im Bus und standen vor uns an der Kasse“. Über ihr Leben, ihre Träume und Wünsche, über ihren Tod wisse man nichts. „Die Jüngste war sechs Tage, die Älteste 98 Jahre alt.“

181 Kerzen für 181 Leben. Es herrschte eine schwere Stille als Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm (SPD), Mitarbeiter des Friedhofs, Vertreter der Evangelischen und der Katholischen Kirche sowie der Diakonie die Namen der Verstorbenen vorlasen. „Jeder steht für ein Leben, ein Schicksal“, sagte die Bezirksbürgermeisterin. „Alle waren sie ein Teil von uns, von unserem Bezirk.“ Im Altarraum brannten 181 Kerzen. Es war vermutlich ein Angehöriger, der neben die Kerzen ein Blumengesteck in Herzform gelegt hatte – für mindestens eine Person im Kirchenschiff war es wohl doch eine Trauerfeier.

Nach der Gedenkveranstaltung traf ich den Bezirksverordneten Clemens Escher (CDU) vor der Kapelle. „Da habe ich wenigstens einen sinnvollen Antrag gestellt“, sagte er und lächelte schief. Die Bezirksverordnetenversammlung hatte im Februar seinem Antrag, jährlich eine Würdigung der einsam Verstorbenen zu organisieren, zugestimmt. Steglitz-Zehlendorf hat sich ein Vorbild an Reinickendorf genommen; der Nord-Bezirk war der erste, der zu einer öffentlichen Gedenkveranstaltung für „ordnungsbehördlich Bestattete“ eingeladen hatte. Eine gute Idee, eine wichtige Veranstaltung.

Boris Buchholz

 

[zuerst erschienen im Leute-Newsletter Steglitz-Zehlendorf, ein Angebot des Berliner „Tagesspiegels“, am 31. Oktober 2019. Kostenloses Abo des Newsletters: leute.tagesspiegel.de]