Von Boris Buchholz —
Robert Podehl arbeitete diesen Sommer über den Dächern der Stadt: Sein Arbeitsplatz ist auf dem Dach des Steglitzer Kreisels montiert; im ehemaligen Bürohochhaus baut die CG-Gruppe Luxuswohnungen. Hitze, Wind, volle Blase – ein Kran-Profi erzählt.
„Klaus, bist Du noch auf dem Kran?“ Das Knistern des Funkgeräts störte plötzlich die Stille, Robert Podehl zuckte zusammen. Er hatte gerade noch über die Friedrichstraße geschaut, hoch oben über der Stadt die Aussicht genossen, Ruhe, Abenteuer und Freiheit gesucht. Dreißig Meter über der Straße machte er den Kran windfrei – nun konnte sich der Ausleger des Stahlriesen mit dem Wind drehen, wie eine Windfahne -, stieg ab und stahl sich von der Baustelle. Er war 14 Jahre alt und versessen auf Bagger und Krane. Robert Podehl: „Als kleiner Stöpsel bin ich frech gewesen und bin immer abends hoch gegangen. Ich wusste, dass der Kran offen war, und habe dann meine Runden gedreht.“
Heute ist der gelernte Baugeräteführer 38 Jahre alt. Er lacht, als er sich an die Episode aus seiner Jugend erinnert. Schon mit zwölf Jahren habe er zum ersten Mal auf einem Bagger gesessen. Ein Bekannter, der als Polier auf einer Baustelle arbeitete, ließ ihn auf den Fahrersitz. Er jobbte als Schüler auf Baustellen, durfte Krane mit Fernbedienung steuern, übte, schaute bei Kranmontagen zu. „Man kannte sich dann schon untereinander und dann haben sie gesagt: Ach, da kommt der Robert wieder“, erzählt er. „Erst bin ich Bagger gefahren, dann Kran, da hat man sich so reingesteigert.“ Mit 13 Jahren saß er oben in der Kabine, wenn eine Lastprobe gemacht wurde. Er sagt: „Das ist in den 1990ern gewesen, da war das noch ein bißchen anders auf der Baustelle.“
Ein Arbeitsplatz in 130 Meter Höhe
Über zwanzig Jahre später fuhr er in diesem Sommer Berlins höchsten Kran: Sein Arbeitsplatz befand sich in 130 Meter Höhe, sein Kran war im Frühjahr auf das Dach des Steglitzer Kreisels montiert worden. Im ehemals höchsten Rathaus Europas werden in den nächsten Jahren Luxuswohnungen entstehen. Mit dem Turmdrehkran der Firma Liebherr setzte er asbesthaltigen Bauschutt aus dem Inneren des Kreisels auf der Verladebühne ab, hob Stahlgeflechte hoch und versorgte die Bauarbeiter mit Material-Nachschub. Ob er stolz auf seinen Job auf dem Kreisel sei? Robert Podehl schweigt erst und sagt dann: „Manchmal ist es schon so ein bißchen schön, wenn man weiß, dass man in Berlin den höchsten Kran fährt und alle anderen unter dir sind.“ Allerdings sei der Kreisel nicht seine höchste Baustelle gewesen, fügt er an. „Mein höchster Kran war 190 Meter“, das war beim Bau des Kraftwerks Boxberg in der Oberlausitz.
Der Kranfahrer ist ein nachdenklicher, stiller Mensch. „Mittlerweile bin ich ruhiger geworden“, erzählt er. Früher habe er sich, wenn etwas schief gelaufen sei, aufgeregt, „da habe ich dann mal runter gebrüllt“. Heute sei er gelassener: „Das musst du sein bei dem Job. Man wird älter, man wird ruhiger, man denkt auch mal öfters oben nach.“ Wenn er in seiner Kabine auf den nächsten Hebe-Auftrag warten muss, „dann gucke ich in der Weltgeschichte rum, gucke, was die Kollegen machen“. Er höre 130 Meter über der Erde die Geräusche der Baustelle und den Straßenlärm und stelle immer wieder fest: „Ach, eigentlich hat man doch einen schönen Job.“ Worüber er alleine über Steglitz-Zehlendorf schwebend nachdenke? Den kommenden Urlaub, was er sich mal wieder leisten könnte oder „was man als nächstes mit seinem Hobby machen kann, ich sammele kleine Baggermodelle“.
Als Hobby sammelt er Baufahrzeuge
Zwischen 150 und 200 Bagger und Krane hat er zuhause stehen, für sie hat er sogar eine eigene Baustelle aufgebaut. Er investiert vor allem in Modelle der Firmen Conrad und NZG, detailgetreue Nachbildungen aus Metall. Auf Sammlerplattformen im Internet werden Turmdrehkrane zwischen 129 und 2989 Euro angeboten. Nur die Modelle. Der Kran auf dem Dach des Kreisel koste um die 450.000 Euro, schätzt der Kran-Experte. Der Kreisel-Bauherr, die CG-Gruppe, hat ihn gemietet, für einige tausend Euro im Monat. Zwischen 200 und 300 Tonnen wiegt der Kran, sechzig Meter ist der Ausleger lang. Ist die Katze („Katze ist das Ding, das auf dem Ausleger hin- und herfährt und an dem das Seil hängt“) ganz am Ende des Auslegers, kann der Kran ein Gewicht von maximal 3,5 Tonnen heben. Die Höchstlast beträgt zwölf Tonnen, dann darf die Katze höchstens 24 Meter ausgefahren sein. Ein Computer berechnet die Hubfähigkeit je nach Standort der Katze, auf einem Display in der Fahrerkabine kann Robert Podehl das Gewicht am Haken, die Höhe des Hakens und den Drehwinkel des Krans ablesen. Sollte die Last am Haken zu groß sein, würde ihn das System automatisch warnen.
Erst einmal habe er in einem Kran richtig Angst bekommen: „Auf einer Baustelle in München hat mir einer einen Acht-Tonnen-Betonklotz angehangen und sagte, er wöge nur vier Tonnen – ich hätte mir fast in die Hosen gemacht, weil der Kran beinahe umgefallen wäre“. Es habe gescheppert, geknallt, geistesgegenwärtig habe er den Haken abgelassen und „Kette gegeben“ – „dann haben die 70 Meter Kran wild geschaukelt“. Die Gefahr sei, dass sich bei einem solchen Stoß die Gegengewichte lösen. Zum Glück sei nichts passiert, aber bei der Demontage des Krans wurde bemerkt, dass einer der acht Haltebolzen des Turms gerissen war.
Ähnliches könnte geschehen, wenn mit dem Kran bei starkem Wind weitergearbeitet werden würde. „Ich habe einen Windmesser oben drin, ab Windstärke 6 ist Feierband“, erklärt der Kranfahrer. „Das sind ungefähr 50 Klamotten pro Stunde.“ Der Kran auf dem Kreisel schwanke kaum, sein Turm sei „ja so klein aufgebaut“, das Haus halte ihn stabil. Trotzdem erschwere auch weniger Wind die Arbeit: „Wenn du schwenkst, du den Haken 130 Meter unten hast und merkst, dass du den nicht ausgependelt bekommst, dann musst du halt aufhören.“ Der Wind blase manchmal das Seil zu Beulen; man müsse wissen, was der Kran macht und wie er in welcher Situation reagiert. Hinzukommt, dass der Kranführer seinen Haken nur über eine Kamera in der Katze sehen kann – man schaut auf dem Monitor in der Kabine senkrecht nach unten. Ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen ist Voraussetzung für den Job. Oder in den Worten von Robert Podehl: „Du musst ein gutes Arschgefühl haben.“
Was macht ein Kranfahrer, wenn er mal auf’s Klo muss?
Gleich nachgefragt: Was macht ein Kranfahrer, wenn er mal auf das Klo muss? „Da pullert man in eine Flasche, pullern geht immer noch“, plaudert der Kran-Profi aus dem Kabinenkästchen. „Das andere ist ein bißchen schwieriger … Da musst du runterkommen.“ Weit hat er es aber nicht. Vom höchsten Kran Berlins geht es zum höchsten Plumps-Klo der Hauptstadt: Auf dem Dach des Kreisels steht ein Dixie-Klo. Allerdings gebe es auch Kollegen, die das Problem anders lösen, berichtet der Kreisel-Kranfahrer: „Die stellen einen Eimer oben rin, machen da Zeitungen rein, dann machen sie die Zeitungen zu und schmeißen sie dann runter.“ Er lacht. Ein weiterer Grund für die Helmpflicht auf Baustellen.
Nicht nur die Blase kann einem Kranfahrer in der Kabine 130 Meter über der Schloßstraße Probleme bereiten, sondern auch die Hitze. „Nein, eine Klimaanlage habe ich nicht“, sagt Robert Podehl. Er regele die Temperatur in der Kabine nach einem altgedienten System: „Fenster auf, Fenster zu.“ Sich in luftigen Höhen auszuziehen, „hilft auch nicht wirklich“. Mittlerweile sollten alle neuen Krane eine Klimaanlage haben, „weil das von der Berufsgenossenschaft gefordert wird, dann brauchst du da oben nicht im eigenen Saft zu braten“. Er trinke viel, im Regal hinter dem Drehsitz des Kranfahrers hat er nicht nur Zugriff auf die Bedienungsanleitung, sondern auch auf seinen Getränkevorrat. Die Hitze in der Kabine müsse man aushalten.
Robert Podehl ist selbständig. Die Bauherren engagieren ihn für einen Stundensatz zwischen dreißig und fünfzig Euro. Zum Kreisel kam er über den Kranvermieter, „die kennen mich schon über 25 Jahre“. Die CG-Gruppe hatte angefragt, ob der Vermieter einen zuverlässigen Kranführer kennen würde. Es mache ihn stolz, sagt Robert Podehl, „dass mich alle auf ihren Baustellen haben wollen“. Er sei als Kran-Experte anerkannt, er habe sich im Laufe der Jahre viel Vertrauen erarbeitet. Aufträge gäbe es für Kran- und Baggerfahrer genug. Auch Angebote, fest in einer Firma einzusteigen, habe er schon viele gehabt: Er habe aber an einer festen Stelle kein Interesse. „Weil ich lieber mein eigenes Ding mache und mein eigener Herr sein will.“ Es ist wie vor 25 Jahren: Ein Gefühl von Freiheit bekommt der Fahrer des höchsten Krans von Berlin sicherlich beim Ausblick aus dem Kabinenfenster, 130 Meter über den Straßen von Steglitz-Zehlendorf.
[Zuerst erschienen im „Tagesspiegel“, 7. September 2018.]