Ijon Tichy: Die One-Man-Show als Designregel

Eine Science-Fiction-Serie um Mitternacht wurde im ZDF zum Publikumsrenner. Ein Grund: Gute Filme sind gut designt, sagen die Filmemacher.

 

Randa Chahoud: »Die Umsetzung ist das Design. Am Ende eines Films, am Ende einer sehr genauen Planung muss das Gefühl stehen, den Weg gefunden zu haben, der am besten zur Geschichte passt – auf allen Ebenen.« Jan Müller: »Allerdings sind selbst schlechte Filme designte Filme.« Randa Chahoud: »Schon, aber ist er zufällig oder bewusst gestaltet worden? Wenn man nicht bewusst entscheidet, ist die Trefferquote für gutes Design gering. Zu viele Filme sind beliebig.«

 

„Umwerfend“, urteilt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die taz spricht von einer „Sternviertelstunde“, der Spiegel fordert mehr Folgen und alle sind erstaunt, dass es gerade das biedere ZDF ist, dass eine der erfolgreichsten und spritzigsten Fernsehserien des Jahres ausstrahlt. „Die Pilotfolge von ‘Ijon Tichy: Raumpilot‘ haben über eine Million Menschen gesehen“, berichtet Karsten Aurich, ausführender Produzent von Sabotage Film, und fährt fort: „Das ist ein Marktanteil von 11,5 Prozent – und das Zuschauerpotenzial ist weit höher.“ Dass die Macherinnen und Macher glauben, Ijon Tichy könnte noch mehr Zuschauer begeistern, liegt am bisherigen Sendeplatz: Sehen konnte man die sechs 15-Minuten- Folgen jeweils rund um Mitternacht. Eben zur Zeit des besten Sternenhimmels.

Raumpilot Ijon Tichy, ein Typ, der aus jeder Nachbarschaft stammen könnte, ist eine Erfindung von Stanislaw Lem. Die Nachwuchs-Regisseure Dennis Jacobsen, Oliver Jahn und Randa Chahoud haben ihr Weltraumabenteuer an Lems Roman-Vorlage angelehnt – und sich einige Freiheiten genommen: Der „Held von Kosmos“ reist alleine in seiner Altbau-Dreizimmerrakete durch das All und erlebt ein absurdes Abenteuer nach dem nächsten. Assistiert wird Tichy, der von Oliver Jahn gespielt wird, von der „analogen Halluzinelle“, einem Hologramm, das in fast allen den Kontrapunkt zu „Herrn Tichy“ verkörpert. Nora Tschirner spielt die durchsichtige Halluzinelle perfekt.

Die äußere Form ist nicht nur bei Nora Tschirner erstaunlich. Tichys Rakete fliegt als eine Synthese aus Kaffeekanne, Thermosflasche und Milchschäumer durch das endlose Sternenmeer. In der Raketenküche sitzt der einsame Sternenfahrer und isst seine Lieblingsspeise: Omelette. Jan Müller, Produktionsdesigner der Serie: „Eine Design-Regel des Films ist, dass alles seinen Ursprung in der Küche hat. Auf den Planeten Prozytien wachsen deshalb Brokkoli- Bäume und die Prozythianer wohnen in einer umgedrehten Salatschüssel.“ Eine weitere Regel sei, so Randa Chahoud, eine der drei Regisseure, dass gewöhnliche Dinge einem neuen Zweck zugeführt würden: „Aus umgedrehten Videorekordern werden Geschwindigkeitsmesser, Türklinken sind Gashebel, Staubsaugerrohre eignen sich perfekt als Steuerknüppel …“

Und es gibt noch eine Gestaltungsregel: Bei den Zuschauern muss der Eindruck wach bleiben, dass alles im Film der Phantasie des Weltraumhelden entsprungen sein könnte. Die Macherinnen und Macher des Films waren konsequent: Außerirdische sehen aus wie Getränkeautomaten oder wandelnde Lampenschirme und reden mithilfe von Waschmaschinenschläuchen und Teezangen. Alle Sprechrollen werden von Ijon Tichy-Darsteller Oliver Jahn gesprochen – sprachlich ist das Raumepos eine One-Man- Show. Regisseurin Randa Chahoud: „Wenn man es genau nimmt, dann ticken auch alle Charaktere so wie Tichy. Alle sind etwas schlaumeierig, sie stehen sich alle etwas selbst im Weg, sie haben alle etwas Rechthaberisches, alle sind ein bisschen geizig. Und alle besitzen die Bauernschläue, immer etwas aus der Situation zu machen. Alle sind komisch, aber sie lachen alle nicht über sich selbst.“

 

»Dieses blöde verblinkte Inspektionslampe schon ewig macht blinkleuchte, aber guck ich nicht hin. Langsam habe ich voll Nase von kardelinisches Ingenieurstüfteleien. Sind alles nur Geldzupfer aus Tasche, dieses Kardeliner. […] Mein Rakete fliegt doch gut, gibt keine Grund für teuer Inspektion. Frechigkeit!«
aus: Verausrüstung einer Dreizimmerrakete, Handbuch für Raumpiloten

 

Das Tichy-Deutsch ist schwer zu improvisieren. Oliver Jahn hat die Dialoge genau übersetzt und eingeübt. Was jetzt eine eigene Sprache ist, entstand durch Zufall. Randa Chahoud erzählt: „In unserem Jahrgang an der Filmakademie war eine Frau aus Georgien, die eine laute durchdringende Stimme hatte und einen tollen Akzent. Sie betonte oft die erste Silbe und sagte zum Beispiel Donnerstag. Als wir anfingen, unsere erste Videoübung zu drehen, hörte man sie, obwohl sie einige Räume entfernt war. Irgendwann begann Oliver sie zu imitieren. Seitdem haben wir die Sprache weiterentwickelt.“

Die harte Arbeit an Dingen, die spontan, leicht und spielerisch wirken, zieht sich durch das ganze Filmprojekt. Deshalb sind Regisseurin und Produktionsdesigner auch unglücklich darüber, dass ihre Science-Fiction-Serie in den Rezensionen oft als guter Trash bezeichnet wird. Denn bei Trash schwebe immer der Vorwurf des Billigen und Willkürlichen mit. Jan Müller: „Ijon Tichy ist komplett durchdacht und geplant, alles stimmt.“ „Wir haben Ijon Tichy mit echtem Herzblut produziert,“ ergänzt Randa Chahoud, „Trash ist lieblos und Ijon Tichy ist genau das Gegenteil.“ Gutes Design ist eben mit Liebe gemacht.

 

»Der Weltraum und das Fernsehen haben vieles gemeinsam: Sie kennen nur die Grenzen der Vorstellungskraft. Doch den Aufbruch des Raumpiloten Ijon Tichy zu dieser final frontier haben erst der Einsatz und kreative Mut vieler Kreativer möglich gemacht.«
Annedore V. Donop, ZDF Das kleine Fernsehspiel, Alexander Bickel, ZDF Quantum

 

bb

 

[Erschienen erstmalig September 2007 in der Designzeitschrift „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]