Interview mit Sven Nordqvist: „Manchmal vermisse ich sie“

Sven Nordqvist wohnt in Stockholm, ist 63 Jahre alt – und er ist der Erfinder der Petterson-und-Findus-Geschichten. Erst studierte er Architektur, dann machte er einen Fernkurs für Illustratoren und wurde einer von Schwedens – und Deutschlands – bekanntesten Kinderbuchautoren und -illustratoren.
Bitte helfen Sie mir: Wie hoch ist die weltweite Auflage Ihrer Bücher?

Deutschland ist mit über fünf Millionen Exemplaren der Petterson-und-Findus-Bücher und wahrscheinlich mehr als einer Million verkaufter Mamma-Muh-Bücher Spitze. In Schweden wurden die Findus-Bücher 2,4 Millionen Mal verkauft, andere Bücher von mir kamen auf eine Auflage von vielleicht 250 000. Weltweit wurden also schätzungsweise neun Millionen meiner Bücher verkauft. „Eine Geburtstagstorte für die Katze“ wurde am häufigsten übersetzt – in 38 Sprachen.

Nach der Schule wurden Sie nicht auf die Kunsthochschule gelassen, jetzt sind Sie durch die Petterson-und-Findus-Bücher einer der bekanntesten Designer-Autoren von Kinderbüchern. Wie kam es dazu?

Das ist übertrieben. Seitdem ich die Schule verlassen habe, war mein Ziel, mir meinen Lebensunterhalt als freier Illustrator zu verdienen. Ich wollte ein fachkundiger und guter Illustrator sein, der jede Illustrations-Aufgabe bewältigen kann. In Schweden gibt es keine Hochschule für Illustration. Nachdem mich die Kunsthochschule abgelehnt hatte, studierte ich Architektur und schrieb mich dann bei einen amerikanischen Illustrations-Fernkurs ein, der drei Jahre dauerte. Ohne die Findus-Bücher wäre ich nur einer von vielen Illustratoren.

1983 haben Sie einen Kinderbuch-Wettbewerb mit dem Buch „ABC – Antons Reise durch das Alphabet” gewonnen. Und dann wurde Findus geboren …

Mein schwedischer Verlag bat mich nach dem Wettbewerb, mehr Bücher zu schreiben und das tat ich. Das nächste Buch war das erste Findus-Buch: „Eine Geburtstagstorte für die Katze“. Danach habe ich erst drei andere Bücher gemacht, bevor ich mich an ein zweites Buch über Petterson und Findus wagte. Zuvor hatte mich schon der Verlag um ein weiteres Findus-Buch gebeten. Ich zögerte jedoch, weil ich nicht glaubte, dass eine Fortsetzung an den Erfolg des ersten Buches anknüpfen würde – das tun Fortsetzungen in der Regel nicht. Aber es klappte und auch das zweite Findus-Buch war ein Renner – wie alle späteren auch. Es waren einige Jahre, in denen ich viel mit Petterson und Findus zu tun hatte: Ein neues Buch jedes zweite Jahr, ein Manuskript für eine Fernsehserie, Ausstellungen und vieles mehr. Ich habe auch eine Menge Zeit damit verbracht, zusammen mit einem Freund Kunstinstallationen für Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten zu entwerfen und zu bauen. Ich liebe Holzarbeiten genauso wie das Zeichnen und Malen.

Ihre Arbeit ist Kunst, gleichzeitig sind Ihre Werke ein Wirtschaftsgut. Gibt es eine Kommerzialisierungs-Grenze, die Sie nicht überschreiten würden?

Ich war immer zurückhaltend was Nebenprodukte angeht. Einige der Produkte jedoch konnte ich ohne Probleme akzeptieren, zum Beispiel ein Puzzle, ein Brettspiel, mit etwas Bauchschmerzen auch eine Puppe. Da ich gute Computerspiele für Kinder machen wollte, die es zu dieser Zeit noch kaum gab, gab ich auch dazu gerne meine Zustimmung.

Und die Filme?


Die drei realisierten Animationsfilme sind schon weit mehr als Neben-Produkte meiner Bücher. Mit den Filmen kamen aber zu viele Merchandisingprodukte in Umlauf, die ich verabscheue. Zu spät habe ich erkannt, dass ich das Merchandising leider laut Vertrag nicht verhindern kann. Ich glaube, viele dieser Produkte sind auch in Deutschland gelandet. Tut mir leid.

In Deutschland müssen Designer und speziell Illustratoren hart um ihre Rechte gegenüber Verlagen kämpfen. Haben Sie einen Tipp für den Umgang mit Verlagen?

Ich habe, wenn es möglich war, immer die Zahlung von Tantiemen für meine eigenen und die von mir illustrierten Bücher vereinbart. Weil ich das Verhandlungsergebnis akzeptabel fand, hatte ich selten Anlass, mich darüber zu streiten. Mein einziger Ratschlag lautet: Unterzeichne keinen Vertrag, den du nicht wirklich verstehst. Falls er kompliziert zu sein scheint, geh zum Anwalt.

Findus und Petterson begeistern ja nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Ist das das Geheimnis eines erfolgreichen Kinderbuchs?

Das scheint eine Rolle zu spielen. Die Eltern kaufen die Bücher – und sie müssen sie vorlesen. Wenn die Eltern die Lektüre genießen, wird das Buch sicherlich auch vom Kind stärker geschätzt. Aber ich glaube, dass sie vor allem wegen der Bilder und all der Details beliebt sind. Und auch wegen der Beziehung zwischen dem Kind, also Findus, und dem Vater oder Großvater – und wegen dem erfüllten Leben, das die beiden haben.

Sind Sie nach 25 Jahren, in denen Sie Petterson-und-Findus-Geschichten schreiben und zeichnen, der Katze und des alten Mannes etwas überdrüssig?

Ich bin ihnen nicht wirklich überdrüssig. Manchmal vermisse ich sie. Aber sie gehören zu einer vergangenen Zeit meines Lebens, als wir auf dem Land lebten und die Kinder klein waren. Heute habe ich keinen täglichen Kontakt mehr mit den Gedanken von Kindern und ihrem Verhalten. Jetzt wäre es zufriedenstellender, wenn ich etwas Neues erdenken würde, besonders neue Bilder und eine neue Art des Malens – auch wenn solch ein Buch vermutlich nicht so erfolgreich wäre wie die Findus-Bücher.

Wie haben Ihre Mutter und Ihre Frau reagiert als Sie 2003 den Astrid-Lindgren-Preis gewannen?

Meine Mutter starb bereits vor vielen Jahren; aber sie wäre stolz auf mich gewesen. Sie war immer stolz auf mich, auch wenn ich gar nichts tat. Und meine Frau war glücklich, so wie ich. Ich glaube, sie sagte damals: „Es wird auch Zeit!“ Ich war sehr, sehr glücklich. Besonders schön war, dass ich den Preis für meine Geschichten und nicht in erster Linie für die Bilder verliehen bekommen habe.

Ein Blick in die Zukunft: Gibt es ein Herzenswunsch-Projekt, das Sie gerne realisieren würden?

Ich hatte ein Herzenswunsch-Projekt vor fünf Jahren, ich habe es realisiert. Das Resultat ist mein neuestes Buch „Wo ist meine Schwester?“ Jetzt bin ich irgendwie leer. Ich habe einige Ideen und versuche neue Stile zu entwickeln. Ich möchte nicht die gleichen Zeichnungen noch einmal machen, es muss etwas Neues her. Aber es ist schwierig wieder von vorne anzufangen. Ich bin einfach mit nichts von dem, was ich tue, zufrieden. Aber ich arbeite daran. Alles, was ich möchte, ist eine Idee, an die ich glaube, und Freude an der Arbeit, so wie früher. Diese Suche und diese Gefühle scheinen Teil des Jobs zu sein, ich habe ähnliches schon früher erlebt. Ich denke, es wird früher oder später in etwas Positives münden.

Was wäre für Sie ein wirklich guter Tag?

Ein wirklich guter Tag ist ein Tag ohne Telefonanrufe oder E-Mails oder Millionen von Fragen, die ich beantworten muss. Ein Tag, an dem ich das Arbeiten genieße und am Ende des Tages mit dem, was ich geschafft habe, zufrieden bin. Ich muss sagen, dass ich oft solche guten Tage habe.

bb

 

[Erstmals veröffentlicht im Designmagazin „agd|viertel“, Februar 2010]