[Dezember 2007] Printdesign für Alle sieht auf den ersten Blick nach nicht viel Aufwand aus. Doch steckt sehr viel mehr Mühe und Fachwissen dahinter, als man zunächst vermutet.
- Wichtige Dinge sollten für jeden verständlich sein.
- Auch alles, was gedruckt wird.
- Die Schrift muss klar und groß,
- die Farben konstrastreich und
- die Sprache leicht sein.
- Bilder müssen auch dabeisein.
Wenn man als Designerin und Designer in die Welt des „Designs für Alle“ eintaucht, staunt man über die Einfachheit der Regeln. Und doch: Beherzigt man sie auch nur zum Großteil, dreht sich das eigene Weltbild um gefühlte 180 Grad. Waren bisher David Carson, Neville Brody oder die rechte Hand von Erik Spiekermann Vorbilder, misst sich die Designer-für-Alle-Welt an gestalterisch eher nüchternen Werken wie dem Handbuch „Gut gestaltet – gut zu lesen“ aus Münster. Handschriften, eine Renaissance-Antiqua oder gar ein rundgotischer Schriftschnitt fristen ein elendes Dasein; allein die Grotesken mit großen Punzen und x-Höhen sind omnipräsent. Kontrastarme Farben sind verpönt, zu detailgenaue Bilder unerwünscht und Kreuzfalze eine große Ausnahme.
Doch sein Weltbild – zumindest zeitweilig – auf den Kopf zu stellen, lohnt sich. Durch aufmerksameres Design von Printmedien könnten viele Menschen, die bisher als Zielgruppe designter Informationen ausgegrenzt wurden, am gesellschaftlichen Wissen, an Kultur und Politik, am Alltagsleben besser teilnehmen. Das Konzept „Design für Alle“ verlangt von Designern aller Sparten abzuwägen: Was sind meine Zielgruppen? Grenze ich ungewollt Menschen aus? Was kann ich tun, damit mein Design für möglichst Viele einfacher nutzbar wird?
Groteske Schriften für Alle
Die Stadt Münster empfiehlt in ihrem Handbuch zur „barrierearmen Gestaltung von Printmedien“, das sie zusammen mit der Fachhochschule Münster erarbeitete hat, die Schriften Lucida Sans und Verdana zu verwenden. Die Lebenshilfe Wittmund und das Regionale Umweltzentrum Schortens setzen auf die Gill Sans; die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen benutzt die PraxisEF. Allen Schriften gemein sind die Serifenlosigkeit, die großen Buchstabeninnenräume, eine große Höhe der Gemeinen und die offenen Formen der Buchstaben. Letzteres kann für sehbehinderte Menschen ein großes Plus sein, da sie zum Beispiel bei der Arial kaum zwischen einem e und einem a unterscheiden können.
„Design für Alle“ beginnt bei einer Schriftgröße von 12 Punkt. Das Netzwerk People First, ein Zusammenschluss von Menschen mit Lernschwierigkeiten, empfiehlt sogar 14 Punkt. Sollen Menschen mit Sehbehinderungen erreicht werden, hält die Stadt Münster mindestens 16 Punkt für angemessen. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) wünscht sich ein klares Wortbild mit kräftigen Strichstärken; Kursive und Versalien dagegen beeinträchtigten die Wiedererkennbarkeit der Worte.
Abschied vom Blocksatz
Unisono präferieren Betroffene für den optimalen Lesefluss einen linksbündigen Satz. Spationierungen beim Blocksatz erschweren das Lesen – ebenso wie zentrierte Textblöcke, da der nächste Zeilenanfang erst gesucht werden muss. Weil viele Sehbehinderte Schwarzschrift (es wäre gut, wenn sie wirklich schwarz oder zumindest sehr dunkel wäre) über Lesegeräte wahrnehmen, müssen Zeilenanfang und -ende klar erkennbar sein. Bei zu engen Spaltenstege etwa finden die Geräte den Zeilenumbruch nicht und der Text wird spaltenübergreifend verarbeitet.
Linksbündiger Satz ist auch noch aus einem anderen Grund empfehlenswert. Die Verständlichkeit von Informationen hängt nicht nur von der Typographie ab, sondern auch – natürlich – von der Güte der Texte. Immer mehr Printmaterialien von Behörden und Verbänden werden auch in sogenannter „leichter Sprache“ verfasst. Merkmale leichter Sprache sind zum Beispiel, dass keine Fremdworte vorkommen und kaum Nebensätze benutzt werden. Ein weiterer Grundsatz lautet: Pro Zeile bitte nur einen Gedanken! Das Beispiel des Ministervorworts in leichter Sprache zeigt deutlich: Beachtet man diese Regel, wird jeder Blocksatz obsolet. Der Flattersatz darf wahrlich flattern – was durch möglichst wenige Trennungen noch unterstützt wird.
Ein gelungenes Beispiel für Gestaltung und Text ist „Münster, ein Reiseführer in leichter Sprache“. Dem Buch ist eine CD beigelegt, auf der alle Informationen der Printausgabe als HTML-Seiten und Audiodateien aufbereitet sind. Es ist mit einer Ringbindung versehen und kann so von Menschen im Rollstuhl gut gehalten als auch leicht auf ein Lesegerät gelegt werden. Eine Vielzahl von Fotos präsentieren nicht nur die Stadt, sondern führen im besten Sinne durch Münster. Wenn zum Beispiel im Text auf ein Schild oder eine Skulptur hingewiesen wird, ist dieser Wegweiser auch in der Marginalspalte abgebildet.
Kurz und einfach und zwei Kanäle
Der Münsteraner Reiseführer verdeutlicht zwei „Design für Alle“-Faustregeln. Die eine Regel lautet: Jede Information sollte durch mindestens zwei der Sinne wahrnehmbar sein. Buch und CD-ROM lassen jedem Nutzer die Wahl, ob er sehen oder hören möchte. Die zweite Regel lautet schlicht: Mach es so einfach und kurz wie möglich. Beispiel aus Münster gefällig? „Das Lackmuseum. Dort werden viele Sachen gezeigt, die mit buntem Lack angemalt sind. Es gibt schöne bunte Dosen, kleine Schüsseln und Möbel aus der ganzen Welt.“ Fertig.
Mehr Informationen:
- Gut gestaltet – gut zu lesen. Tipps für eine barrierearme Gestaltung von Printmedien; Presseamt der Stadt Münster in Kooperation mit der Fachhochschule Münster. Die Broschüre kann gegen Zusendung eines frankierten Rückumschlags (DIN A5, 1,45 Euro Porto) bezogen werden: Stadt Münster, Presseamt, Ute Kutschera, 48127 Münster.
- Natur für alle. Planungshilfen zur Barrierefreiheit; herausgegeben von der Lebenshilfe Wittmund e.V. und dem Regionalen Umweltzentrum (RUZ) Schortens e.V.; www.natur-fuer-alle.de
- Wörterbuch für leichte Sprache; herausgegeben vom Netzwerk People First Deutschland e.V.; 16 Euro plus Versandkosten; www.people1.de
bb
[Erstmalig veröffentlicht im Dezember 2007 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]