Klimawandel stoppen, Verantwortung übernehmen
von Boris Buchholz
[2010] Nachhaltiges Design, Design für Alle oder die Gestaltung für gesellschaftliche Randgruppen sind nicht nur spannende Betätigungsfelder, sie sind auch gesellschaftlich bedeutsam – denn hier werden Konfliktfelder zwischen verschiedenen Interessengruppen benannt und praktische Problemlösungen vorgeschlagen. Design ist kein Selbstzweck. Es sollte der Gesellschaft von Nutzen sein. Nachhaltiges Design hat durch den fortschreitenden Klimawandel einen besonderen Stellenwert erlangt.
Etwa einhundert Design- und Werbeagenturen sind Mitglied im Forum Corporate Publishing, einem Zusammenschluss von Unternehmen, die sich mit der Gestaltung von Firmenzeitschriften beschäftigen. Diese einhundert Agenturen zeichnen im Jahr für eine Auflage von knapp einer Milliarde Zeitschriften verantwortlich – das Thema „Nachhaltigkeit“ hätte für die Forums-Mitglieder bisher jedoch eher eine marginale Rolle gespielt, berichtete im Frühling 2009 Michael Höflich, der Geschäftsführer des Forums. Dabei ist es heutzutage nur ein kleiner Schritt vom Frischfaser-Bilderdruckpapier zum FSC-zertifizierten- oder zum Papier mit Recyclingfasern. Erst kürzlich hat die Kundenzeitschrift der Volkswagen AG auf Recyclingpapier umgestellt – und sich damit für den firmeninternen Umweltpreis beworben. Die Qualität der Recyclingpapiere ist heute so hoch, dass oft der aufgedruckte Recycling-Hinweis dafür Sorge tragen muss, die Empfänger über das nachhaltige Engagement zu informieren.
Doch ist die Verwendung von FSC-Papier schon „nachhaltiges Design“? Nachhaltigkeit heißt, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit ökologischer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Dieses Ziel erreicht man nicht, wenn man den Designbegriff lediglich auf Konzeption und Entwurf (typo)grafischer Elemente reduziert. Nachhaltiges Design ist mehr: in erster Linie Beratung. Herauszufinden, was der Auftraggeber kommunizieren möchte, wo die Stärken und Besonderheiten liegen, wie der Kommunikationswunsch umgesetzt werden könnte und was das für die Produktion – und damit auch für den Geldbeutel des Auftraggebers und die Umwelt – heißen würde, gehört zu den Aufgaben von Designern. Wir stehen in der Verantwortung, die für den Auftraggeber beste und zugleich für die Gesellschaft und die Umwelt verträglichste Form und Umsetzung zu finden.
Strategische Beratung
Der Beratung des Auftraggebers kommt in diesem Spannungsfeld eine strategisch entscheidende Bedeutung zu. Es reicht nicht mehr, den Kunden „nur“ von einem guten Design zu überzeugen – was schon alleine eine sehr harte Arbeit sein kann. Angesichts der Klimaveränderungen müssen Designerinnen und Designer heute mehr leisten: Sie müssen dem Auftraggeber wenn nötig nachhaltige Produktions- und Marketingsgedanken nahe bringen; sie stehen vor der Herausforderung, Überzeugungsarbeit leisten zu müssen und ihre eigene Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ständig zu überprüfen. Sie müssen strategisch beraten und die Auftraggeberwünsche kritisch hinterfragen.
Ein Beispiel: Ein produzierendes Unternehmen verschickt jedes Jahr einen dicken Produktkatalog an alle seine Kunden. Ein neues Jahr beginnt, das altgediente Designbüro erhält wieder einmal den Auftrag, den neuen Katalog zu gestalten. Verändert haben sich hier und da einige Preise, neue Produkte beschränken sich auf einen der fünf Produktionsbereiche. Das Designbüro analysiert Kommunikationsziele und Zielgruppen, holt Informationen zu Papieren, Druck und Weiterverarbeitung ein – und macht dem Unternehmen einen neuen Vorschlag: Statt eines dicken Katalogs stellen die Kreativen ein modular aufgebautes Heftsystem vor, bei dem jeder der fünf Produktionsbereiche eine eigene Broschüre erhält. Die Broschüren werden durch einen Schuber zu einer Einheit zusammengefasst. Auf Preise in den Einzel-Broschüren verzichten die Gestalter komplett; stattdessen wird die Internetpräsenz des Unternehmens überarbeitet, so dass sie für Kunden selbsterklärender, übersichtlicher und leichter zu bedienen ist und gesuchte Produkte sowie deren Preise rascher gefunden werden. Gleichzeitig wird das Backend der Internet-Site mit dem Warenwirtschaftsprogramm des Unternehmens verbunden, so dass zum einen die Mitarbeiter Preis- und Produktinformationen leicht verändern und zum anderen die Kunden die Verfügbarkeit der gewünschten Produkte online prüfen können. Die Marketingabteilung ist von der Idee der Kreativen begeistert; der Vorstand zögert zunächst ob der Anfangsinvestitionen, sieht aber mittelfristig deutliche Einsparungen und stimmt dem neuen Konzept zu.
Die Trennung von Produktpräsentation (Print) und Preisangaben (Online) sorgt dafür, dass die Einzelbroschüren nur dann neu produziert werden, wenn sich in diesem Geschäftsbereich deutliche inhaltliche Veränderungen ergeben. Durch den Zusatznutzen der Online-Anfrage (Verfügbarkeit, Rabattrechner, Alternativvorschläge) wird der neue Informationsweg attraktiv gemacht. Der Seiten-Umfang der gedruckten Broschüren ist in ihrer Summe geringer als der Umfang des bisherigen Gesamtkatalogs. Wurde der alte Gesamtkatalog jedes Jahr in hoher Auflage produziert, haben die Einzel-Broschüren eine „Lebenserwartung“ von zwei bis drei Jahren. Hinzukommt, dass die Analyse des Bestellverhaltens der Kunden ergibt, dass bestimmte Kunden nur Produkte aus einem oder zwei der Unternehmensbereiche erwerben. Diese Kunden erhalten in Zukunft auch nur noch die Fach-Informationen, die sie benötigen. Die Gesamt-Print-Auflage sinkt.
Klima: Umfang und Auflage sind entscheidend
Ein anderes Beispiel aus der politischen Arbeit: Ein Kreisverband einer Partei will in einem Wahlkreis eine Aktionszeitung herausgeben. Der Designer gestaltet eine 8-seitige Zeitung im halben Berliner Format für den Rollenoffset; die Parteigliederung gibt 20000 Exemplare in Auftrag. Die Zeitung ist vierfarbig angelegt. Designer und Druckerei kennen sich kaum, es fehlen gemeinsame Erfahrungen. Beim Andruck brauchen Drucker und Designer einige Zeit, um die Druckmaschine optimal einzustellen. In dieser Einrichtungsphase werden 12000 komplette Zeitungen gedruckt, die direkt im Altpapierbehälter enden – 12000 Zeitungen Makulatur für eine effektive Auflage von 20000.
Das Ziel jedes Design- und Printproduktionsprozesses sollte es sein, möglichst wenig Energie, Wasser, Chemikalien, Luft, Benzin und Papier – und hier ist es unerheblich, ob Frischfaser-, FSC- oder Recyclingfasern zum Einsatz kommen – zu benutzen. Um das zu erreichen, sollte ein „nachhaltiger“ Designer den Produktionsprozess kennen(lernen) beziehungsweise Partner finden, die ihn mit ihrer Expertise versorgen – so hätte vielleicht der hohe Makulaturanteil im zweiten Beispiel verhindert werden können. Mit der Auftraggeberseite muss diskutiert werden, welche Zielgruppen bedient werden sollen. Ist es wirklich notwendig einen Informationsflyer an alle Haushalte verteilen zu lassen (hohe Auflage) oder kann durch Markt- und Sozialanalysen die Zielgruppe genauer eingeengt werden, so dass nur eine geringere Auflage erstellt werden muss, um den gleichen messbaren Erfolg zu erreichen? Auch inhaltlich muss sich der Auftraggeber entscheiden: Will der Kunde eine kleine und feine Broschüre in geringer Auflage an eine ausgewählte Zielgruppe richten oder lieber einen Aktionsflyer in zehntausendfacher Auflage an Alle verteilen, in der Hoffnung, dass die „richtigen“ Empfänger in der großen Masse schon dabei sein werden?
Für das Budget des Auftraggebers könnten beide Varianten vielleicht auf dasselbe hinauslaufen. Betrachtet man die umweltpolitische und soziale Relevanz, ist eine geringere Auflage auf jeden Fall vorzuziehen. Der World Wide Fund For Nature hat es vorgerechnet: Für einen eigenen Prospekt mit einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren wurden 7,5 Tonnen CO2 alleine für das Papier in die Luft geblasen. Der Transport des Prospekts verbrauchte 2,2 Tonnen CO2 – und lag damit weit abgeschlagen an zweiter Stelle. Es gilt: Die Auflage zu reduzieren, senkt die ökologischen Kosten am effektivsten.
Langlebige Produkte, nachhaltiges Designbüro, ethische Finanzen
Natürlich können Designer noch viel mehr tun: Recyclingpapier und Bio-Druckfarbe, günstige Formate und optimales Ausschießen, recycelbare Materialien und langlebige Produkte, selbsterklärende Geräte und auch für Ältere und Kranke leicht zu handhabende Anwendungen, essbare Verpackungen und wasserschonende Bekleidung – das sind Ansätze, die in der Praxis erprobt wurden und relativ leicht umgesetzt werden können.
War bisher vom Umgang des Designers mit dem Auftraggeber und dessen Wünschen die Rede, geht es jetzt ans Eingemachte: Zum nachhaltigen Design gehört auch, die Arbeitsweise und das Arbeitsumfeld des Designers selbst zu überprüfen. Mit welchem Maschinenpark werden die Designlösungen erarbeitet? Green-IT war das Leitmotto der letzten CeBit in Hannover, ganze Sonderhefte großer Computer-Consumer-Zeitschriften beschäftigten sich mit dem Energieverbrauch von Monitoren und Computern, mit fehlenden Netzschaltern an Druckern und zu hohem Strombedarf bei Stand-by-Betrieb. Die Frage, wie „grün“ ein Computer sein kann, beschäftigt die Branche schon viel länger. Beispielsweise stellte Greenpeace die Firma Apple an den virtuellen Pranger, weil die Rechner aus Cupertino viele Vorzüge haben mögen, aber beim Chemikalien- und Metalleinsatz sowie bei der Recyclingfähigkeit und dem Energiebedarf schnitten die Macs weit schlechter ab als so manche verachtete „DOSe“. Derweil hat Apple nachgebessert; Greenpeace bescheinigt Lernfähigkeit.
Die Büromaterialien im Atelier gehören ebenso auf den Prüfstand. Ökologische Büroausstatter wie memo machen den Umstieg auf FSC-Holz- oder Papp-Kugelschreiber, Briefhüllen aus alten Landkarten und recycelten Toner leicht. Apropos Umstieg: Gerade angesichts der aktuellen Preiserhöhungen der großen Energieunternehmen kann sich der Wechsel zu Ökostromanbietern auch finanziell lohnen. Die Website www.atomausstieg-selber-machen.de listet vier Ökostromanbieter auf, die weder mit Betreibern von Kohle- noch von Atomkraftwerken verknüpft und bundesweit verfügbar sind: LichtBlick, Greenpeace Energy, Naturstrom und die Elektrizitätswerke Schönau.
Ein in der Debatte um nachhaltiges Design bisher vernachlässigtes Thema sind die Finanzen. Oder genauer: Wer verdient an meinen durch nachhaltiges Design erwirtschafteten Einkünften (und Ausgaben)? Bei welcher Bank unterhalte ich mein Geschäftskonto? Zu den Großbanken, die auch an Rüstung, Sozialabbau, Lohndumping, Bau neuer Atomkraftwerke und Umweltzerstörung kräftig verdienen, gibt es Alternativen. Jede Sparkasse und Volks- oder Raiffaisenbank ist eine gute Wahl, da sie zumeist lokal und regional tätig sind und vielfältigen öffentlichen Kontrollen unterliegen. Geldinstitute der Kirchen wie die Evangelische Darlehnsgenossenschaft sind eine weitere Option. Die Umweltbank, die GLS Gemeinschaftsbank (sie hat 2003 die Ökobank übernommen) und die Ethikbank haben sich auf ökologische und ethische Geldanlagen spezialisiert. Während bei der Umweltbank das Anlage- und Kreditgeschäft im Vordergrund stehen, kann man bei der GLS Gemeinschaftsbank und der Ethikbank auch seinen gesamten täglichen Geldverkehr abwickeln.
Design hilft, gesellschaftliche Probleme zu lösen
Ob Nachhaltiges Design oder Design für Alle: Es gibt gesellschaftliche Probleme und Design kann einen Beitrag zu den Lösungen leisten. Design ist und war nie ein Selbstzweck. Das Bauhaus hatte konkrete Vorstellungen, warum es sich in der Form reduzierte. Die Bauhäusler hatten nicht nur ein ästhetisches Anliegen, sondern wollten unter anderem gutes Design möglichst vielen zur Verfügung stellen. Gutes Design hat das Ziel, funktionierende Lösungen für aktuelle – und zukünftige – Probleme zu generieren. Design ist für die Gesellschaft wichtig, gutes Design ist sogar unabdingbar.
Und die Designerinnen und Designer? Sie sind sich ihrer Rolle oftmals nicht bewusst. Zum einen verlangen sie zu Recht nach mehr Anerkennung und mehr öffentlicher Wertschätzung. Zum anderen wird aber immer wieder versäumt, diesen Anspruch genügend zu begründen: Eine gute Markendarstellung, eine tolle Anzeige oder ein cleveres Verpackungsdesign reichen allein nicht aus, um über die Designbranche hinaus anerkannt zu werden. In Zukunft wird ein wichtiger Gradmesser für gutes Design immer mehr das Potenzial zur Lösung gesellschaftlicher Probleme sein. Innovative Konzepte werden dann nicht mehr in erster Linie am ästhetischen Anspruch gemessen, sondern am Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz.
Um das Engagement im Bereich des nachhaltigen Designs zu stärken, hat die Mitgliederversammlung der Allianz deutscher Designer AGD im März 2009 die „Charta für nachhaltiges Design“ beschlossen. Die Charta beschreibt einen Rahmen für nachhaltiges Handeln von Designerinnen und Designern. Sie soll Bewusstsein für ökologisches, sozial verträgliches und wirtschaftliches Design wecken, Einzelne zum Handeln bewegen und demonstrieren, dass Design Lösungsbeiträge zu Problemen der Gesellschaft zu leisten vermag. In den ersten neun Monaten haben fast 150 Designerinnen und Designer die Charta unterzeichnet.
[ Erschienen im Buch: Bernd Hüttner, Christoph Nitz (Hg.): Linke Kommunikation – Kommunikation mit links?; VSA Verlag, 148 Seiten; 2010 ]