74.1 – oder: „Anderweitig nicht genannt“ war einmal

Manches klingt trocken, ist aber wichtig. Bei der Klassifikation der Wirtschaftszweige ist es so – die Designer haben einen Erfolg errungen. Erste Zahlen für die Designwirtschaft nach der neuen Ordnung sind frühestens 2010 zu erwarten.

Wussten Sie, dass es 2005 über 340000 Unternehmen in Deutschland gab, die mit der Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen beschäftigt waren? Und dass im Vergleich zum Vorjahr 16000 Unternehmen hinzugekommen sind? Nein? Eigentlich müsste man das als Designer auch nicht wissen – wenn im Wirtschaftszweig „Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen“ neben Schornsteinfegern, Zeitarbeitsfirmen und Menschen, die Münzen aus Parkuhren einsammeln, nicht auch die Designer und Fotografen versteckt sein würden. Despektierlich heißt der Zusatz bei der Namensgebung des Wirtschaftszweiges frech „anderweitig nicht genannt“.

Nun heilt die Zeit bekanntlich alle Wunden. Seit Januar 2008 gilt eine neue Klassifikation der Wirtschaftszweige, und jetzt steht fest: Die Designer sind unter der Überschrift „Sonstige freiberufliche und technische Tätigkeiten“ gut aufgehoben. Zu dieser Gruppe, sie trägt die Nummer 74, gehören neben den Designern auch die Fotografen und Fotolabors sowie die Übersetzer und Dolmetscher. Die Schornsteinfeger sind jetzt bei 81 angesiedelt, die Zeitarbeitsfirmen bei 78 und die Menschen, die Parkuhren leeren, bei 82. Und es wird noch besser. In unserem Kapitel 74 gibt es eine Unterkategorie 74.1 unter der alle Designleistungen bis auf Foto-Design versammelt sind: Industrie-, Produkt- und Mode-Design (74.10.1), Grafik- und Kommunikationsdesign (74.10.2) und Interior Design und Raumgestaltung (74.10.3). Hut ab!

„Ich halte es für einen Riesenerfolg, dass der Begriff Design als eigenständige Branche in der Klassifikation anerkannt ist“, sagt Kulturstatistiker Michael Söndermann. Denn wer in diesen Klassifikationen erfasst werde, den gebe es. Stehe man nicht im Register, sei man auch – amtlich-statistisch gesehen – nicht existent. Ziel jeder amtlichen Statistik sei es, so Matthias Greulich vom Statistischen Bundesamt, die Realität möglichst gut wiederzugeben. Stimmt das Abbild der Zahlen nicht mit der Wirklichkeit überein, müsse man die Erhebungsgrundlagen überarbeiten. Und das ist in den letzten Jahren geschehen: Über Jahre wurde an der Liste aller wirtschaftlichen Tätigkeiten gearbeitet. Für die Neuordnung der Designkategorien hat sich die Allianz deutscher Designer in Person ihres stellvertretenden Vorsitzenden Jürgen Grothues mit langem Atem eingesetzt. Das Ergebnis nennt sich „Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008“ oder kurz „WZ 2008“.

Statistik ist wichtig

Was auf den ersten Blick trocken und abgehoben wirkt, hat Auswirkungen. „Die Statistik ist eine Entscheidungshilfe für politische und unternehmerische Entscheidungen“, erklärt Matthias Greulich. Der Referatsleiter in der Gruppe Unternehmensregister, Koordinierung der Unternehmensstatistiken, Klassifikationen im Statistischen Bundesamt nennt Beispiele: Bei Tarifverhandlungen seien Umsatz und Zahl der Beschäftigten in einer Branche Grundlage der Verhandlungen. Wenn die Politik beschließt, einem Wirtschaftsbereich Subventionen oder eine spezielle Förderung zuzubilligen, lägen Erhebungen zugrunde, die sich auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige berufen. Aber auch für Otto Normalverbraucher seien die Zahlen relevant. So riefen im Statistischen Bundesamt werdende Selbständige an, die ihren Banken darlegen müssen, wie die Konkurrenzsituation in ihrer Branche oder wie die wirtschaftliche Situation bei potenziellen Kunden sei.

Für die AGD hat die „WZ 2008“ strategische Bedeutung. Denn wenn es nach der alten Grundlage hieß „2005 gab es 340000 Unternehmen in Deutschland, die mit der Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen beschäftigt waren“, ist die Aussagekraft Dank des Branchenmixes vom Schornsteinfeger über Detektive bis hin zu Inkassounternehmen und Designern äußerst gering. Für die Zukunft erwarten die Fachleute klarere Zahlen, die das Ausmaß und die Bedeutung der Designwirtschaft für alle nachvollziehbar belegen.

Allerdings wird es noch etwas dauern, bis der Wechsel zur neuen statistischen Grundlage vollzogen und erste Zahlen für den Bereich 74.1 zu lesen sein werden. Ab Januar 2009 sollten alle statistischen Ämter sowie die Finanzbehörde auf die neue Klassifizierung umgestellt haben, so dass erste Zahlen generiert werden. „Ich hoffe, dass wir 2010 / 2011 Daten nach der neuen Gliederung bekommen“, sagt Michael Söndermann. Dass sich die statistischen Mühlen langsam drehen, bestätigt Matthias Greulich. Doch gäbe es wohl schon 2008 erste Zahlen nach der WZ 2008: „Gewerbeneugründungen und Insolvenzen werden bereits seit Januar diesen Jahres nach der WZ 2008 durchgeführt.“

bb

 

[Erstmalig veröffentlicht im Juni 2008 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]