Die Heidi Klums dieser Welt

Menschen über 50 sind wichtig – und für Unternehmen sehr interessant. Warum das so ist, wie sich die Silver Ager selber sehen und welche Chancen sich älteren Designern eröffnen, erklärt Peter Wippermann, Gründer des Trendbüros Hamburg und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Hochschule, Essen.

Herr Wippermann, Sie sind 59 Jahre alt. Wie alt fühlen Sie sich?

Natürlich 15 Jahre jünger, das ist doch ganz klar.

Schleswig-Holstein wirbt im Tourismus um Best Ager, der Bayerische Zeitungsverband macht sich um die Auflagen sorgen und entdeckt die Silver Ager – sind diese Zielgruppen wirklich die Lösung aktueller ökonomischer Probleme?

Sechzig Prozent des Volksvermögens liegen bei den über 50-Jährigen, das macht diese Altersgruppe sehr interessant. Wir sind eine Gesellschaft, die immer weniger Junge und immer mehr Menschen haben wird, die über 50 sind und die doppelt so lange leben wie vor 100 Jahren. Rein ökonomisch baut sich da ein großes Potenzial auf. Daher ist es interessant zu überlegen, wie man mit dieser Zielgruppe Geld verdienen kann.

Wie spreche ich denn Menschen ab 50 am besten an?

Meine These ist äußerst simpel: Wenn man heute generationenübergreifend kommunizieren will, muss man den jungen Erwachsenen ansprechen. Das sind diejenigen, die über 30 sind und sich wie 20-Jährige fühlen. Es sind die Heidi Klums dieser Welt, die schon heute so tun, als gäbe es überhaupt keinen Alterungsprozess.

Damit erreiche ich die 50- und 60-Jährigen?

Mit großer Sicherheit, ja. Diejenigen, die eine Generation älter sind, fühlen sich seelisch eher in der Welt ihrer Kinder beheimatet. Das ist das Absurde: Vor 40 Jahren – 1968, 1970 – hat sich das Lebensgefühl entwickelt, nicht erwachsen werden zu wollen. Die Idee, Partner seiner Kinder, also letztendlich Konkurrent seiner Kinder, sein zu wollen, ist mittlerweile etabliert. Daher versucht man in einer Welt zu leben, die 20 oder 15 Jahre jünger ist als man selber.

Umfragen kommen zu dem Ergebnis, dass Menschen über 50 die Begriffe „Best Ager“ oder „Silver Ager“ für sich nicht akzeptieren. Wie definiert sich die große Gruppe 50 Plus selber?

Sie entziehen sich jedem Definitionsversuch. Sie sehen das gelebte Alter, die gefühlte Jugend, als ihr reales Alter an. Das ist natürlich genau der Hebelpunkt für Designer und Kommunikationsstrategen: Wir geben Dir das gefühlte Alter. Die gesamte Kosmetikindustrie hat sich darauf eingeschossen.

Mein Eindruck ist, dass es kaum Produkte gibt, die für die Bedürfnisse dieser Zielgruppe entwickelt wurden.

Das stimmt und es stimmt nicht. Die Immobilienindustrie setzt auf Pflegeheime, obwohl die Betroffenen dort nicht hinwollen. Auf der anderen Seite bringen Elektronikunternehmen Produkte wie die Spielekonsole „Wii Fit“ heraus, die sehr erfolgreich verkauft wird. Der Kosmetikmarkt hat reagiert und Anti-Aging- und No-Aging-Produkte bereitgestellt. Gesundheitstourismus ist die am schnellsten wachsende Sparte der Reisebranche.

Wollen denn ältere Konsumenten daran erinnert werden, dass ihre Gesundheit mehr und mehr zu wünschen übrig lässt?

Ich würde es anders sagen: Die Sinnstiftung über den Körper nimmt zu. Man beobachtet den Körper als sei er eine fremde Einheit, man differenziert zwischen dem Bewusstsein und der körperlichen Anwesenheit. Der Körper wird zunehmend als Materie angesehen, die man optimieren kann.

Heißt das, dass man ab 50 nur noch im Abwehrkampf gegen das Altern steckt?

Die Kosmetikindustrie hat es doch geschafft, dass sich schon 25-Jährige alt fühlen. Das Alter wird als Krankheit bewertet, der man vorbeugen muss. Das ist natürlich eine völlige Absurdität. Aber die Industrie in diesem Bereich hat im Moment unglaubliche Erfolge. Denken Sie nur an die Zahninstandhaltung, -verbesserung und -optimierung. Denken Sie an das Lasern der Augen, damit Sie keine Brille tragen müssen. Denken Sie an die ganze Schönheitschirurgie.

Ich war von Ihrem Buch „Länger leben, länger lieben“ fasziniert, aber auch enttäuscht: Sie reihen erschreckende und nüchterne Fakten aneinander, alles scheint machbar – doch eine kritische Bewertung bleibt aus. Warum?

Das wäre so als ob derjenige, der Wettervorhersagen herausgibt, sagen würde, er findet es scheiße, dass es regnet.

Sie selbst sind nicht mehr 25, Sie sehen all diese Trends, wie gehen Sie damit um?

Ich finde viele der aktuellen Entwicklungen einfach surreal. Ich fühle mich persönlich eher einer Gruppe zugehörig, die natürliches Altern als neue Protestbewegung interpretiert. Aber das ändert nichts daran, dass ich feststellen muss: Die Märkte gehen ganz woanders hin.

Reden wir über Sex: Sie sprechen in Ihrem Buch über die Generation Silver Sex. Warum ist Sex so wichtig?

Es ist sehr erstaunlich: Eine Generation, die versucht hat, inhaltlich zu leben, eine Generation, die die Gesellschaft in irgendeiner Form besser machen wollte, ist jetzt plötzlich dabei, Oberflächlichkeit besonders attraktiv zu finden. Ihr Credo ist: Ich sehe nicht alt aus. Diese Generation setzt als Controlling für den Maßstab Oberflächenspannung Sex ein: Bin ich noch attraktiv für andere? Natürlich hat die Sexualität von Älteren früher auch stattgefunden. Nur jetzt hat sie eine öffentliche Bedeutung bekommen. Leistungsfähigkeit in der Sexualität ist für den Einzelnen zu einem wichtigen Maßstab geworden. Viagra und ähnliche Medikamente werden millionenfach verkauft.

Nach dem Motto „Solange ich Sex habe, bin ich jung“?

Dadurch dass wir immer älter werden, entsteht anscheinend verstärkt die Bereitschaft dafür und die Sehnsucht danach, in der zweiten Lebensphase noch einmal eine andere Partnerschaft einzugehen. Natürlich ist dabei auch der Aspekt der sexuellen Attraktivität wichtig. Die Anerkennung durch den Anderen, das Begehren durch den Anderen. Diese Idee, dass man als Silver Ager noch einmal sexuell aktiv werden möchte, dass man auch Leistung zeigen möchte, ist etwas, was selbst in Kreisen angekommen ist, die sich selber für konservative Werte wie „Du sollst nicht ehebrechen“ einsetzen.

Die Mitarbeiter von Agenturen sind jung. Kann es funktionieren, dass ein 25-Jähriger Art Director die richtigen Bilder für Silver Ager vor Augen hat?

Das wird nicht gelingen. Ein 25-Jähriger Art Director möchte gerne in der Welt der 18- bis 20-Jährigen sein. Man kann als Kind nicht für seine Eltern Werbung machen. Es geht einfach nicht. Man braucht für diese Aufgabe Leute, die in einer ähnlichen Situation oder älter sind und die nicht persönlich betroffen sind.

Viele freiberufliche Designer sind selber Silver Ager. Wären diese Designer nicht besonders geeignet, Kommunikationsstrategien für die Generation 50 Plus zu entwerfen?

Ja, das wären sie. Das Problem liegt darin, dass die Einzelkämpfer meistens nicht die Netzwerke zu den innovationsgetriebenen Firmen haben, die für diese Zielgruppe neue Produkte machen. Die Designer, die in meinem Alter sind, sind meistens in Netzwerke integriert, die auch älter geworden sind. Der Kontakt zu den sogenannten „jungen Märkten“ ist nicht da.

Jedoch könnte eine innovative Agentur verstärkt ältere Kollegen einbinden …

Das wäre eine clevere Idee. Im Bereich der Model-Agenturen gibt es bereits einige, die sich auf Silver Ager spezialisieren und ältere Models vertreten. Das ist für eine Branche, in der oftmals 22-Jährige aus dem Modelgeschäft aussteigen mussten, weil sie als zu alt galten, eine erstaunliche Entwicklung.

Was sind denn die größten Probleme von älteren Designern?

Viele älter gewordene Designer haben eine ästhetische Qualität – viele tun sich jedoch damit schwer, technologisch nachzuvollziehen, was heute geschieht. Das ist ein großes Handicap. Zum Beispiel ist für Menschen, die in der haptischen Welt groß geworden sind, der Einsatz des Internets bei der Ideenfindung sehr fremd. Die Arbeit in einem virtuellen Raum ist schwer vermittelbar. Die Rationalisierungen, die im Design- und im Produktionsbereich stattgefunden haben, zwingen den Gestalter dazu, auch die aktuellen technischen Voraussetzungen zu erfüllen, sonst kann er ökonomisch nicht erfolgreich sein. Das sind für viele Leute einfach zu viele Schritte auf einmal. Gerade die, die selbständig arbeiten und die nicht permanent durch andere dazu aufgefordert werden, sich weiterzuentwickeln, haben es schwer.

Das Gespräch führte Boris Buchholz.

 

Prof. Peter Wippermann 

ist gelernter Bleisetzer. Er war Bühnenfotograf, Galerist, Redakteur. Mit 35 arbeitete er als Layouter für die „Zeit“; er wurde Art Director beim Rowohlt Verlag und für das Zeit-Magazin. Er ist Gründer des Hamburger Trendbüros.

 

[Erstmalig veröffentlicht im Dezember 2008 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]