Latex ist überall

Mit Designarbeiten rund um die Themen Fetisch, Dominanz und Unterwerfung kann man auch (ein wenig) Geld verdienen – für zwei Designerinnen und einen Designer stehen jedoch Leidenschaft und Kunst im Vordergrund. 

Vorhang auf: Spotlights erhellen punktuell die Bühne, die Musik setzt zum Crescendo an – begleitet von zwei Hostessen in kurzen und körperbetonenden Lackkleidern rollt das futuristische neue Automodell vor das Messepublikum. Szenenwechsel. Eine blonde Frau räkelt sich im enganliegenden Latex-Catsuit im Werbespot für einen Energydrink. Szenenwechel. Im Vampir-Kinofilm kämpfen in aufreizend wenig Leder und Lack gehüllte Gestalten um ihr Leben. Szenenwechel. Eine Elektronikmarktkette wirbt mit einer jungen Frau im futuristischen Gummianzug. Szenenwechel. Ein politischer Skandal entbrennt, weil Gabriele Pauli sich fotografieren lässt: in Latex-Handschuhen.

„Fetisch fällt im Alltag doch kaum noch auf“, meint Hanspeter Ludwig, Illustrator, Grafiker und Fotograf aus Gießen. Er muss es wissen. Seitdem er erwachsen ist, kennt er die Fetisch- und SM-Szene. Mit 16 Jahren fing er an, seine sexuellen Phantasien in seinen Zeichnungen festzuhalten. Nachdem er sich 2002 selbständig machte, verbindet er mehr und mehr die Arbeit mit seinem Vergnügen: Etwa 15 Prozent seines Umsatzes macht er heute mit erotischen Illustrationen und Fotos. Zwar hofft er, diesen Anteil auszubauen, doch gebe „es leider im SM-Bereich wenig bezahlte Aufträge“.

In der Szene wurde er mit seinen Bildern bekannt, nachdem die führende Szene-Zeitschrift, die Hamburger „Schlagzeilen“, über ihn einen Bericht veröffentlichten. „Die Redaktion hat Jahre gebraucht hat, um festzustellen, ob sie etwas von mir abdrucken wollen“, erzählt Hanspeter Ludwig. 1992 schickte er Arbeitsproben ein. Sieben Jahre später erreichte ihn ein Antwortbrief und die Nachfrage, ob es ihn noch gebe und ob er an einer Veröffentlichung noch interessiert sei – durch einen Umzug war seine Mappe vergraben und erst 1999 wieder entdeckt worden.

Für die Designerin und Illustratorin Anja Sickert aus der Nähe von Dresden war eine Entdeckung stilbildend: „Zu den Illustrationen bin ich über einen Kalligraphie-Kurs bei Thomas Hoyer gekommen“, erzählt die Designerin. „Illustrationen waren vorher gar nicht mein Steckenpferd gewesen.“ Im Kurs übten die Teilnehmer, mit der Ziehfeder zu arbeiten. „Ich habe das Werkzeug kennen und lieben gelernt – und ich liebe es immer noch.“ Anders als viele Szene-Zeichnungen sind ihre „Lustmädchen“ farbenfrohe und lustvolle Bilder, ohne dass der Bezug zu Fesselung, Dominanz und Unterwerfung verloren geht. „Ja“, sagt Anja Sickert, „die Lustmädchen sind selbstbewusst und fröhlich.“ Sie fährt fort: „Es geht doch um Spaß dabei, sonst würde man es ja nicht machen.“

Ihre „Lustmädchen“ sind freie Arbeiten. Der Zuspruch aus der Szene ist da; Nach-Fragen, ob es Postkarten gäbe und wo man Lustmädchen-Bilder kaufen könne, erreichen Anja Sickert regelmäßig. Übrigens gibt es keine „Lustjungs“. Die Designerin erklärt das so:  „Die Frauen haben eine schönere Form, man hat viel mehr Möglichkeiten. Männer, das sind so zwei gerade Striche.“

Ans de Bruin zeichnet beide Geschlechter. Ihren beruflichen Schwerpunkt hat sie aktuell sogar auf das Be-Malen von Frauen und Männern gelegt: Die Designerin arbeitet zur Zeit freiberuflich als Tätowiererin in einem Studio in Heidelberg. Gelernt hat sie das Tätowieren bei einer Freundin, der sie dafür Tattoo-Vorlagen zeichnete. Ein Grund für den Tausch von Stift für Nadel war die Zahlungsmoral ihrer Kunden. Als selbständige Designerin musste sie ihrem Geld oft erfolglos hinterher laufen. „Das finde ich beim Tätowieren sehr viel besser“, sagt Ans de Bruin, „die Leute verlassen das Studio nicht, bevor sie nicht bezahlt haben.“ Ansonsten sei das Stechen von Tattoos „Design mit anderen Mitteln“. Direkt auf die Haut etwas zu zeichnen sei künstlerisch sehr herausfordernd – zugleich ist es komplizierter, langwieriger und anstrengender als die Arbeit auf Papier.

Begonnen hatte ihre Karriere mit klassischem Kommunikationsdesign. Damals war ihr die SM- und Fetisch-Szene noch unbekannt. Als sie diese Szene für sich entdeckte, begann sie auch mit ihrer künstlerisch-erotischen Arbeit: „Ich zeichne das, was mich interessiert.“ Sie präsentierte ihre Arbeiten in Internet-Communities, stellte in Szeneläden aus und entwarf zwei eigene Comics. „Leben kann man von erotischer Kunst nicht“, sagt Ans de Bruin, „ich habe es mehr als Werbung verstanden.“ Denn viele Akademiker und Unternehmer seien in der Fetisch-Szene unterwegs; über sie akquiriert Ans de Bruin neue „normale“ Designaufträge.

Im Umgang mit Auftraggebern war die eigene Beschäftigung mit den Themen SM-, Fetisch-, Dominanz und Unterwerfung nicht störend – da sind sich die drei Designer einig. Ans de Bruin hat oft von einem „Künstlerbonus“ profitieren können. Und Hanspeter Ludwig versteckt seine Vorlieben auch im Berufsalltag nicht. Als er eine Anzeigenkampagne mit einer lokalen Sparkasse entwickeln durfte, kam der Chef der Bank nach einem Meeting auf Hanspeters damaligen Chef zu und lobte: „Ihrem Mitarbeiter sieht man die Kreativität ja geradezu an!“ Hanspeter war mit einer Schnürlederhose, schwarzen Klamotten, und langen, weiß gefärbten Haaren zum Kundentermin erschienen.

bb

 

[Erstmalig veröffentlicht im Dezember 2009 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]