Vorsicht: Gehirnverflachung!

Erotik im Design ist kein Selbstläufer und kann der beabsichtigten Kommunikationswirkung entgegenwirken. Der Psychotherapeut Josef Klausnitzer empfiehlt: Zelebriert den Makel und macht die Erotik wieder spannend!

 

Erotik ist überall, die Werbung erschlägt uns damit. Das Gesetz „Sex sells“ scheint auf alles angewandt zu werden …

Es ist nur ein vermeintliches Gesetz. Es gibt eine Reihe von Fehleinschätzungen. Zum Beispiel wird die Bedeutung von Sex und Erotik viel zu hoch angesiedelt. Wenn Sie sich eine Elektronikmarktbeilage in der Tageszeitung ansehen, dann glauben Sie nicht, dass Sie im Laden Ihre erotischen Fantasien befriedigt bekommen – obwohl eine vollbusige Frau neben dem Gerät abgebildet ist. Sie glauben viel eher, dass Sie dort einen Kassettenrecorder oder einen DVD-Player erstehen können.

Aber man glaubt doch, dass die hübsche Frau mich kaufwillig stimmt?

Man hofft nur, dass sich über positive Assoziationen eine günstigere Kaufentscheidungsszenerie entwickelt. Man muss aber prüfen, ob die positive Kopplung „schöne Frau“ zu „DVD-Player“ wirklich eintritt oder ob die Assoziationen, die Frau und Gerät auslösen, nicht eher ein Störer der Kaufentscheidung sind.

Es geht los: Ich denke an Harmonie, Kuscheln, Zufriedenheit, Befriedigung …

Das ist die eine Seite, ja. Aber auf der anderen Seite denkt man daran, dass erstens der Busen nicht echt und zweitens das Bild retuschiert sie. Ergo könne es drittens diesen Busen ja überhaupt nicht geben, alles Fake. Und daneben haben Sie das – angeblich – tolle Fernsehgerät.

Verstehe, der Busen ist nicht echt, warum sollte also der Fernseher halten, was mir in der Werbung versprochen wird?

Genau, das nennt man eine Assoziationskollision, einen neuro-kognitiven Crash. Negative und positive Assoziationen prallen aufeinander und führen zu einem irrationalen Übersprungsverhalten weg vom ursprünglichen Kaufwunsch.

Erotik ist ja nicht nur nackte Haut. Designer setzen symbolhafte Abbildungen ein, verwenden eine sinnlich-geschwungene Schrift oder wählen die Farbe Rot …

Rot ist schwierig. Denn natürlich hat man zum einen Assoziationen wie Liebe und Leidenschaft. Aber gleichzeitig wird auch Wut und Aggressionen ausgelöst. Die Farbe Rot ist also per se ein Crasher, weil sie konträre  Assoziationen hervorruft, die aufeinander prallen könnten.

Kann ich es denn als Designer vermeiden, gegenläufige Assoziationen hervorzurufen?

Mit der ASKO-Analyse, die Assoziationskollision herausfiltert, kann man prüfen, welche grafischen Elementen, Piktogramme und so weiter crash-verdächtig sind. Wenn man das weiß, können diese Elemente weitgehend herausgenommen und durch crash-geschützte ersetzt werden.

Haben Sie ein Beispiel parat, bei dem Erotik gut mit dem beworbenen Produkt zusammenpasst?

Mir fällt kein Beispiel ein.

Soll die Erotik aus der Werbung und dem Design verschwinden?

Nein, das wäre auch keine Lösung, denn Erotik gehört zum Alltag dazu. Das Problem ist, dass der Einsatz von Erotik zu narrativ ist. Man glaubt, allein durch einen abgebildeten vollen Busen erziele man schon eine Wirkung in Richtung Kauf- oder Handlungsentscheidung. Ob aber die Kombination Erotik und Produkt im Sinne der Aktivierung des Betrachters positiv ist, bleibt gänzlich offen.

Wie müsste denn eine bessere Design-Lösung aussehen?

Designer müssen das Kommunikationsergebnis im Blick haben. Dann dürfte es nicht darum gehen, einfach eine erotische Gestaltung zu erarbeiten und zu hoffen, dass der vermeintliche Blickfang schon ausreiche. Man muss den Zusatznutzen, den das Produkt hat, darstellen. Über den Zusatznutzen wird die positive Kaufentscheidung attraktiver.

Sie haben einen Wunsch an uns Designer frei: Was sollen wir tun?

Alles was zu perfekt ist, scheitert an der Realität. Ein perfekter Körper crasht, weil er dem Realitätsvergleich nicht Stand hält. Daher: Bringt mehr Makel, berücksichtigt die Schönheitsfehler, macht die Spannung zwischen Schönheit und Fehler erlebbar. Und: Sie müssen die Erotik spannend gestalten. Zum Beispiel wirken nackte Körper nicht unbedingt erotischer als noch mehr oder weniger verhüllte. Der Mensch möchte entdecken können, man muss nicht alles gleich sehen können. Die Entblätterung muss wieder entdeckt werden. Wenn Sie gleich alles sehen, sofort alles zur Verfügung haben, geht die Vorfreude verloren.

Allerdings ist das ein allgemeines Problem.

Das stimmt, letztendlich macht die sofortige Verfügbarkeit von Allem den Genuss kaputt. Ich muss keine Spannung mehr ertragen. Ich habe Hunger und kann ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit stillen. Ich will irgendjemanden anrufen, ich rufe an und der ist sofort dran, weil man über das Handy ständig erreichbar ist. Das Warten auf Erfüllung fällt flach. Hier sind wir wieder bei dem Verlust der Differenzierungsfähigkeit: Denn die Differenzierung ist ja der Wechsel zwischen Hunger und Sättigung. Wenn ich keinen Hunger mehr habe, bin ich ständig gesättigt. Das Ergebnis ist die Atrophierung des Gehirns, die emotionale, geistige und intellektuelle Gehirnverflachung. Es ist wie bei einem Muskel, der nicht benutzt wird: er schrumpft. Ähnliches kann man auch für den emotional-kognitiven Bereich sagen: Wir leiden unter einer allgemeinen Verschrumpfung.

bb

 

Dipl.-Psychologe Josef Klausnitzer ist seit Jahren niedergelassener Psychologe und Psychotherapeut. Er ist zertifizierter Wirtschaftspsychologe BDP und beschäftigt sich unter anderem mit Sexualtherapie. Er praktiziert in Gotha, Thüringen. Er ist Gesellschafter in der Wertschöpfung Verlag und Beratung Bucher KG und ASKO-Analytiker.

 

[Erstmalig veröffentlicht im Dezember 2009 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]