Der Bundestag hat im Oktober letzten Jahres die Kreativwirtschaft als „eigenständigen Wirtschafts- Standort- und Tourismusfaktor“ anerkannt. Einstimmig beschlossen die Abgeordneten, die Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken.
So ist Politik: Im November 2006 teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur Kulturwirtschaft mit, dass „eine ausdrückliche Zuständigkeit für Kulturwirtschaft […] innerhalb der Bundesregierung nicht gegeben“ sei und nicht sinnvoll erscheine. Und weiter: „Die konkrete Förderpolitik für die Ansiedlung und die Unterstützung von Unternehmen der Kulturwirtschaft liegt grundsätzlich im Gestaltungsrahmen der Länder und Kommunen.“ Seitdem haben sich Welten verschoben.
Nur sechs Monate später, im April 2007, diskutierten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zum ersten Mal in der parlamentarischen Geschichte über die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Anlass der Debatte waren drei Anträge von CDU/CSU und SPD, von der FDP und den Grünen, die allesamt die Stärkung und Förderung der Kreativwirtschaft zum Inhalt hatten. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftministerium Dagmar Wöhrl unterstrich im Parlament die wirtschaftliche Bedeutung des Kreativsektors für die Wirtschaftsentwicklung und den Arbeitsmarkt. Redner wie der CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen aus Schleswig-Holstein zeigten sich regelrecht begeistert:
„Unbändige Dynamik, schöpferische Vielfalt und Biss zeichnen die Branche der Kreativen aus. Sie sind der Pfeffer in einer Arbeitsgesellschaft. Besonders Selbstständige sind Träger dieser Bewegung. Jeder dritte Beschäftigte ist sein eigener Arbeitgeber. Die Kreativwirtschaft ist Motor für Wachstum und Beschäftigung. Ihr eigentlicher Wert liegt jedoch in ihrer Innovationsfähigkeit. Sie schafft Neues und bringt die Entwicklung voran.
[Beifall bei der CDU/CSU]“
Dass Begeisterung überzeugen und scheinbar feste Weltbilder erschüttern kann, machte die Reaktion von Hans-Joachim Otto von der FDP deutlich:
Wenn wir dem Kollegen Börnsen so zuhören, dann müssen wir uns wirklich fragen, woher das Fehlurteil kommt, dass Nordlichter unterkühlt seien.
[Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD]
In der Sache war man sich im Kern schnell einig: Die Bedeutung der Kreativwirtschaft sei groß, der Begriff jedoch sehr ungenau. Die Klein- und Kleinstunternehmen leisten einen Mammutbeitrag, sie würden jedoch mit dem klassischen Förderinstrumentarium nicht erreicht. Die Datenlage sei unzureichend, es fehle ein bundeseinheitlicher Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht. Außerdem müsse es in der Bundesregierung feste Ansprechpartner geben, ein Querschnittsreferat zwischen Kultur- und Wirtschaftspolitik müsse geschaffen werden.
Im letzten Oktober gossen die Fraktionen diese inhaltliche Übereinstimmung in eine feste Form und machten aus den drei Anträgen einen gemeinsamen, der einstimmig vom Bundestag verabschiedet wurde. Damit hat das Parlament die Bedeutung der Kreativwirtschaft erstmalig anerkannt. Unter anderem muss die Bundesregierung bestehende Existenzgründerprogramme, Beratungs- und Finanzierungsangebote sowie noch nicht verabschiedete Gesetze auf die Anforderungen von Klein- und Kleinstunternehmen überprüfen und sie gegebenenfalls neu ausrichten. Ein „Gründerwettbewerb ‚Kultur- und Kreativwirtschaft’“ wird gewünscht sowie ein Aktionsplan für das „Jahr der Kreativität 2009“ eingefordert. Bemerkenswert ist, dass die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Kreativen sowie eine ausreichende Alterssicherung für Selbständige angestrebt wird.
Bei der abschließenden Debatte wies der Abgeordnete Siegmund Ehrmann auf ein Spannungsverhältnis hin: Zum einen bewerbe man die Kreativbranche als Wirtschafts-Motor. Zum anderen mache man damit ein wirtschaftliches Modell salonfähig, in dem „Prototypen prekärer Beschäftigungsverhältnisse dominieren“: Selbstausbeutung, unregelmäßige Arbeitszeiten, kurzzeitige Anstellungen und geringes Einkommen herrschten vor. „Du lieber Gott“, warf Hans-Joachim Otto (FDP) ein, „das ist halt kreativ!“ „Da wird man ja ganz depressiv“, rief der Sozialdemokrat Jörg Tauss in den Sitzungssaal. Ein Christdemokrat ging beherzt dazwischen: Es sei berechtigt, sich mit Kritik auseinanderzusetzen, führte Wolfgang Börnsen aus und forderte den SPD-Kollegen auf: „Mach weiter, Siggi!“ In diesem Sinne.
bb
[Erstmalig veröffentlicht im Juni 2008 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]