Seit Jahren begleitet der Forscher Michael Söndermann die Begründung und Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Auf unzähligen Veranstaltungen in Bund und Ländern hat er referiert, diverse Studien zur Bedeutung der Kultur- und kreativwirtschaft stammen aus seiner Feder. Wir haben ihn gefragt, wie die Zukunft der Designwirtschaft aussieht.
Herr Söndermann, stellen Sie sich vor: Heute ist das Jahr 2020. Was sehen Sie, wenn Sie auf die Designwirtschaft blicken?
Designdienstleistungen werden noch gigantisch weiter wachsen. Weil die Produkt- und Dienstleistungsgestaltungen in vielen Bereichen eigentlich noch am Anfang stehen. Es gib derzeit noch so viele Güter und Angebote, die gar nicht designed sind, die einfach so gemacht sind, wie es die Produzenten gerade konnten – da ist für Designer ein riesiger Markt. Nehmen wir als Beispiel die Forschung, also meinen Bereich. Da ist doch bisher keine designerische Leistung enthalten, jeder Forscher bemüht seine Excel-Ästhetik. Die gesamte Forschung könnte einen Riesensprung nach vorne machen, wenn die Designwirtschaft unsere Forschungen und Ergebnisse noch einmal qualifizieren würde, in dem sie sie sinnlich klarer und begreifbarer macht. Dafür muss die Designwirtschaft Ideen entwickeln und an die Forschung herantragen. Und ähnlich verhält es sich mit sehr vielen Wirtschaftsbereichen. Wenn die Designwirtschaft neue Formate entwickelt, kann sie ganz neue Türen aufstoßen.
Welche Herausforderungen kommen wirtschaftspolitisch auf die Designer zu?
Erst einmal: Die Designwirtschaft, das zeigt sich für mich immer wieder, artikuliert sich aus wirtschaftspolitischer Sicht zu zerklüftet, zu fragmentiert. Die Designer müssen sich als geeinter Wirtschaftsbranche viel stärker verstehen und präsentieren. Und dann fällt mir auf, dass die Designer sehr selbstzentriert agieren. Bei Design-Veranstaltungen höre ich immer wieder das Credo durch: „Wir sind doch die Kreativwirtschaft“. Da höre ich mit großen Ohren hin.
Würden Sie sagen, dass die Designer arrogant sind?
Komischerweise empfinde ich es gar nicht als arrogant. Sie sind arg strukturblind. Designer scheinen immer das Gefühl zu haben, dass sie überall irgendwie mit drin stecken. Deswegen meinen sie, Design mache die Kultur- und Kreativwirtschaft zu 80 oder 90 Prozent aus. Das ist definitiv falsch. Es kommt auch in den anderen Teilbereichen überhaupt nicht gut an. Ein Bühnenkünstler oder ein Filmproduzent hat ein ganz klares Bewusstsein über sich und seine Tätigkeit und er käme nie auf die Idee zu sagen, dass er auch ein Schriftsteller sei. Aber die Designer haben die leichte Tendenz zu sagen: „Wir sind eigentlich alles.“
Ich höre Ihre Bitte an uns: Werdet doch etwas bodenständiger und realistischer.
Ja, aber es kommt noch etwas hinzu: Die einzelnen Designsparten scheinen auch gegeneinander zu kämpfen. Industriedesigner sagen mir, eigentlich seien sie das Maß aller Dinge. Die Vertreter der einzelnen Bereiche heben ihren Designbereich hervor: Wir sind die eigentlichen Designer! Das machen die Industriedesigner, das machen die Modedesigner, das machen die Kommunikationsdesigner. So entsteht aber keine gemeinsame Identität als große Designwirtschaft. Sie müssen diese internen Abgrenzungstendenzen überwinden.
Gibt es dieses interne Hacken nicht in jedem Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft?
Absolut nicht. Sie werden nicht erleben, dass der Schriftsteller gegen den Journalisten wettert. Oder dass beide den literarischen Übersetzer abwerten. Auch der Pop-Musiker beharkt nicht den Klassik-Musiker oder den Komponisten. Das passiert nur bei den Designern.
Es gibt aber auch Gegenentwürfe: Die Initiative deutscher Designverbände, kurz iDD, hat sich die Aufgabe gestellt, das Sprachrohr aller Designer zu sein.
Ich bemerke die iDD in der wirtschaftspolitischen Debatte gar nicht. Ich kriege nicht das Gefühl vermittelt, dass die iDD irgendeine wirtschaftspolitische Position vertreten würde. Ich höre keine. Die einen Designverbände fordern etwas zur Künstlersozialkasse, die zweiten widersprechen der ersten Position, die dritten berichten von tarifrechtlichen Fragen. Ein kunterbuntes Feld. Die iDD hat mir noch keine gesamtdesignerischen Grundsätze vermittelt.
Hat die AGD dadurch, dass sie der größte deutsche Designverband ist, eine besondere Verantwortung?
Aus der schieren Größe leite ich nichts ab. Wenn ein kleinerer Verband eine moderne und zukunftsfähige Position entwickelt, ist das auch gut. Was mir gut gefallen hat, war das europäische Engagement der AGD. Denn wenn man über Europa und Designpolitik nachdenkt, dann denkt man automatisch über ein ganzes Wirtschaftsfeld nach und ist nicht mehr im Klein-Klein verhaftet. Ich empfand die Idee, eine europäische Position zu entwickeln als sehr produktiv, weil sich automatisch daraus auch eine umfassende Sicht auf Deutschland ableitet. Aber das europäische Engagement der AGD scheint ja gestoppt zu sein. Ich nehme die AGD im Moment auf der wirtschaftspolitischen Ebene nicht wahr.
Was sollte sich Ihrer Meinung nach bei uns in der Zukunft verändern?
Seien Sie nicht nur ein Berufs-, sondern auch ein Wirtschaftsverband. Bringen Sie Ihre Positionen ein, stellen Sie die neuen Produktionsbedingungen dar. Designer sind sehr stark in projektorientierter Arbeit eingebunden; das ist eine sehr moderne Produktionsweise. Damit ist die Designwirtschaft gesamtwirtschaftlich gesehen ein Vorreiter. Die Designwirtschaft erlebt als eine der ersten Branchen eine Atomisierung der Produktionsprozesse. Aber sie artikuliert so gut wie keine Ideen an die Wirtschaft, an die Gesellschaft, an die Politik, was man tun sollte, damit sich stabile Unternehmen entwickeln können. Damit Familien ernährt werden können. Die Designverbände könnten hochkomplexe und hochinteressante Diskussionen führen – doch diese Impulse setzen sie nicht. Die Verbände sind fast nur berufs- und beratungsorientiert und zu wenig wirtschaftspolitisch engagiert.
Ein Problem sehe ich: Wir haben keine nennenswerte Designforschung, die uns fundierte Informationen und Grundlagen zur Verfügung stellen kann.
Sie haben Recht. Eine knallharte Designforschung ist notwendig, dafür müssen die Designer kämpfen. Die Verbände müssten der Politik diese Notwendigkeit besser erklären.
Welche Zukunft sehen Sie denn für die Designverbände?
Lassen Sie es mich anders anpacken: Wenn ich einen Verband kennenlerne, dann frage ich: „Was leistest du denn für deine Mitglieder?“ Da wird mir viel berichtet. Und dann frage ich: „Was leistest du denn für Nichtmitglieder?“ Erst werde ich erstaunt angeschaut und dann wird aufgeregt aufgelistet, was die Nichtmitglieder vom Verband haben. Das ist eine gute Entwicklung. Denn früher war man sich mit der Leistung für die Mitglieder genug. In der Zukunft der Verbände wird es immer mehr darum gehen, was sie für die ganze Branche, für die Gesellschaft tun. Ein Verband, der so agiert, hat Zukunft.
Das Gespräch führte Boris Buchholz.
Michael Söndermann ist Gründer des Büros für Kulturwirtschaftsforschung in Köln. Seit Jahren ist die Kultur- und Kreativwirtschaft sein Untersuchungsgegenstand.
[Erstmalig erschienen 2011 im agd|viertel „Vision“]