Starker Schwanz aus Plankton-Unternehmen

Milliardenumsätze, tausende kleinster Unternehmen und Strategien, um mehr vom Umsatzkuchen abzubekommen – Michael Söndermann, Kulturstatistiker, über die Bedeutung der Designwirtschaft.

Herr Söndermann, wie hat sich in den letzten Jahren die Rolle der Design- und Kreativwirtschaft entwickelt?

Die Designbranche ist neben der Gamesbranche offensichtlich der Motor der Kreativwirtschaft. Die Designwirtschaft hat jetzt wieder zu meiner Verblüffung zweistellig im Umsatzbereich zugelegt: Es sind 11,7 Prozent mehr Umsatz im Jahr 2006 als im Jahr 2005. In der Kreativwirtschaft gibt es andere Branchen, die stagnieren oder gar rückläufige Zahlen aufweisen wie zum Beispiel die Architektur.

Im Vergleich der Jahre 2004 und 2005 haben die Designer noch ein Umsatzplus von 15,2 Prozent erwirtschaftet. Ist die Designwirtschaft jetzt mit 11,7 Prozent schon wieder auf dem absteigenden Ast?

Keineswegs. Man muss ehrlicherweise sagen: Jeder Umsatzzuwachs, der über fünf Prozent liegt, bedeutet ein erhebliches Wachstumspotenzial. Und wenn ich zweistellige Zahlen vorweisen kann, dann befinde ich mich in einem gigantischen Zuwachsbereich. Ich habe überhaupt keine Befürchtungen, dass sich die Designwirtschaft plötzlich in die gegenteilige Richtung entwickelt. Es ist einfach so: In den letzten Jahren sind die Designer die Lokomotive der Kreativwirtschaft.

Neben dem erneuten zweistelligen Umsatzplus hat sich eine zweite Zahl deutlich verändert: Während es 2005 noch 37100 Designunternehmen gab, ermitteln Sie für 2006 bereits 38700. Wie deuten Sie das?

Der ungebremste Zugang zum Markt für neue Designunternehmen ist für die Branche charakteristisch. Der Zuwachs von 1600 Unternehmen in einem Jahr ist jedoch sehr stark. Offensichtlich sind sehr, sehr kleine Designbüros darunter, die versuchen auf dem Markt Fuss zu fassen.

Es tummeln sich immer mehr Unternehmen in der Designszene. Wieviel kriegen die kleinen Büros vom Umsatzkuchen ab?

Die Anzahl der Freiberufler, GbRs und gewerblichen Ein-Mann-Unternehmen ist sehr groß. Es gibt deutlich weniger GmbHs; gleichwohl steuern sie einen sehr viel größeren Umsatzanteil bei. Die Träger des gesamten Umsatzvolumens sind die wenigen GmbH-Unternehmen. 2005 waren es circa 29000 Kleinstunternehmen und 4600 GmbHs. Die Kleinen erzielten im gleichen Jahr 14 Milliarden Umsatz, die GmbHs 30 Milliarden Umsatz.

Könnten Freiberufler mehr vom Kuchen abbekommen?

Zunächst müssen sie die Hindernisse sehen, die auf dem Markt existieren: Die GmbH ist die klassische und anerkannte Unternehmensform in Deutschland. Denn man unterstellt einer GmbH, dass sie stabiler und wirtschaftlich gesünder ist als ein kleines freiberufliches Büro. Daher gilt für kleine Büros die Zauberformel: Netzwerk. Kleinstunternehmen, die sich in ein Netzwerk einbinden können, können auf Dauer eine verlässlichere Position gegenüber ihren Partnern erreichen. Die Kleinstunternehmen müssen der Nachfrageseite das Gefühl suggerieren, dass sie stabil und verlässlich sind und nicht bei jeder wirtschaftlichen Entwicklung sofort durch irgendein Raster fallen.

Als freiberuflicher Designer fällt es mir schwer, mich in dieser großen Gemeinschaft der Kreativwirtschaft mit ihren Milliardenumsätzen wiederzufinden. Warum ist das so?

Viele Designer sind Kleinstunternehmen und haben sowieso erst einmal Schwierigkeiten sich organisatorisch zuzuordnen und einen Gruppenbegriff zu entwickeln. Zum anderen sind sie auch so klein, dass sie jeden Tag eigentlich die Frage beantworten müssen, ob sie wirtschaftlich untergehen oder nicht. Hinzu kommt, dass die Designer ein sehr starkes berufsorientiertes Selbstbild haben. Man definiert sich als beruflich tätiger Designer und nicht als eine wirtschaftliche Einheit. Kommunikations-Designer oder Interior-Designer verstehen sich immer als Dienstleister. Während wir Wissenschaftler die Designwirtschaft eindeutig als ganzheitlichen Komplex sehen, reiben sich die Designer als Akteure dieser Branche verwundert die Augen. Ich erlebe immer wieder ein starkes Erstaunen in der Designwirtschaft. Ich werde meine Zahlen noch oft vorstellen – eigentlich betreibe ich angewandte Psychologie.

Wir danken Ihnen sehr dafür, dass Sie uns immer wieder sagen: Wir sind nicht alleine, wir sind nicht unwichtig …

Wichtig sind Sie! Ich bin der festen Überzeugung, dass die Designwirtschaft das absolut legitime Recht hat, sich so in der Wirtschaftspolitik und auch in der Volkswirtschaft zu verankern wie zum Beispiel die Architektur. Was wir noch nicht geschafft haben, ist den Begriff Designwirtschaft so landläufig zu machen, dass jeder weiß, was damit gemeint ist. Neben der Vielfalt, die die Designer produzieren, gibt es in der Kommunikation noch ein weiteres Problem: Designer können meist kein haptisches Produkt vorweisen. Die Leistungen von Designern sind ja gedankliche Konstruktionen. Sie produzieren im wahrsten Sinne Gehirnprodukte, weil sie immaterielle Konstruktionen und Konzepte und Schnittstellen erdenken. Dass am Ende irgendwann auch einmal ein physisches Produkt steht, ist klar. Aber die Leistung eines Designers liegt ja meist vor der Produktion. Das ist sehr schwer, der Öffentlichkeit verständlich zu machen.

Die AGD fordert, dass auch Design-Kleinstunternehmer, die weniger als 17500 Euro Einkommen erwirtschaften, statistisch erfasst werden. Wie sehen Sie diese Forderung? 

Sie rennen offene Türen ein. Denn die amtlichen Statistiker haben offenbar vor, Ihrem Wunsch nachzukommen. Neben den regulären Erhebungen zur Unternehmensstatistik sollen zukünftig auch die Kleinstunternehmen unterhalb der 17500-Euro-Grenze erfasst werden. Die Statistiker kümmern sich sehr wohl um die Kleinen oder Kleinsten – wir sagen dazu immer Humus-Unternehmen oder Plankton-Unternehmen. Wir werden in einigen Jahren erstmals auch Daten bekommen, die die Situation unterhalb der 17500-Euro-Grenze beschreiben, was sehr erfreulich ist.

Bei der AGD Mitgliederversammlung in Wiesbaden im letzten Jahr sprachen Sie über die vielen kleinen Designer-Ameisen, die Elefantöses schaffen.

Ich habe etwas Neues: Kennen Sie den Begriff aus den USA „the long tail“?

Nein, helfen Sie mir bitte weiter.

In den USA gibt es die Einsicht, nicht mehr nur die zehn oder zwanzig großen Unternehmen einer Branche zu erfassen und den Rest, der sich bildlich in einem immer länger werden Schwanz von Klein- und Mikrounternehmen befindet, nicht zu beachten. Im Gegenteil: Dieser Schwanz schafft insgesamt immer mehr wirtschaftliches Potenzial und übersteigt zum Teil das Potenzial, welches man bisher immer den zehn Größten zugeordnet hat. Es gibt eine Änderung der Blickrichtung. Denn die gemeinsame Leistung der Tausenden kleinen Unternehmungen führt dazu, dass die Bruttowertschöpfung der Kreativwirtschaft sich mit der Energie- oder Chemiebranche durchaus vergleichen kann.

Um im Bild zu bleiben: Sie sagen, dass ein starker Schwanz für die Fortbewegung und das Körpergleichgewicht fundamental sein kann?

Das kann zutreffen. Denn zum Beispiel in der Musikindustrie ist man ziemlich verwundert, warum die Independents, die Kleinunternehmen, auf dem Markt ihre Nischen finden, während die Großen enorme Refinanzierungs- und Vertriebsprobleme haben. Bei diesem Beispiel sind es gerade die Kleinen und Kleinsten, die sich offenbar stabiler am Markt halten können.

bb

Michael Söndermann ist Wissenschaftler und betreibt das Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln/Zürich. Mehr unter www.kulturwirtschaft.de

 

[Erstmalig veröffentlicht im Juni 2008 im Designmagazin „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]