Ökologisches Produktdesign scheint ein Nischendasein zu führen. Der Umweltwissenschaftler Dr. Norbert Kopytziok unterrichtet dieses Fach an der Berliner Universität der Künste seit Jahren. Ein Gespräch darüber, warum man einen Bierkrug würzen sollte.
Herr Kopytziok, Sie haben im letzten Jahr mit Ihrem Seminar den Deutschen Materialeffizienzpreis des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gewonnen. Was haben Sie entwickelt?
Dr. Norbert Kopytziok: Es war die Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft. Wir haben uns die Aspekte Bier und Bratwurst herausgepickt, haben die Umweltaspekte recherchiert und dann alternative, umweltfreundliche Alternativen erdacht. Zum Beispiel war das Bier, das im Berliner Olympiastadion augeschenkt wurde, ausschließlich amerikanisches Bier. Bier besteht fast nur aus Wasser – also wird Wasser aus den USA nach Deutschland transportiert. Es ist schizophren, ökologisch und für die regionale Wirtschaft ist es eine Katastrophe. Wir haben also vorgeschlagen, bei solchen Großveranstaltungen nur regional gebrautes Bier anzubieten. Zum anderen ist der Würstchen-Konsum während der WM sehr groß gewesen. Was wir herausfanden war, dass mit einem Bratwürstchen eine unglaubliche Produktionskette verbunden ist, die wiederum hohe Umwelt- und speziell Wasserbelastungen hervorruft.
Was war neben dem regionalen Bier Ihre Lösung?
Wir haben nach etwas gesucht, was genauso gut schmeckt wie ein Bratwürstchen, aber weit weniger umweltbelastend ist. Wir kamen auf Kartoffelchips. Und dann haben wir Trinken und Essen miteinander verbunden: Warum nicht Bier in einem essbaren Krug zu servieren? Und das i-Tüpfelchen ist, dass der Krug die Form des WM-Pokals hat.
Essbare Verpackungen sind nicht neu …
Das stimmt. Die Bahn hat schon mit essbaren Pommesschalen experimentiert. Aber die haben einfach ihre Schalen nicht gewürzt! Unsere Bierkrüge schmecken lecker und halten das Bier bis zu zehn Stunden. Das funktioniert: In der Eisdiele geben die Leute 50 Cent mehr aus, damit sie eine Kugel Eis aus der leckereren Waffel essen dürfen.
Nach dem Sie in den 1990er Jahren die Hauptseminare zum Thema „Design und Ökologie“ fachlich begleitet haben, bieten Sie sie inzwischen eigenständig an. Ist Ihr Seminar an der UdK eine gutbesuchte Pflichtveranstaltung?
Pflicht nein, gut besucht ja. Und das Besondere ist, die meisten Studentinnen und Studenten sind bis zum Semesterende aktiv dabei. Manche kommen sogar ein zweites Mal ohne einen Schein zu benötigen.
Ökologie ist in der Ausbildung von Designern eine Randerscheinung. Ist die Notwendigkeit, in der universitären Ausbildung über Umweltbelastungen zu informieren, gegeben?
Auf jeden Fall! Es gibt eine EU-Öko-Design-Rahmenrichtlinie, die verabschiedet ist. Dabei handelt es sich um Vorgaben, die bei der Produktentwicklung eingehalten werden müssen. Doch wissen die Designer gar nichts davon. Geschweige denn, dass sie sich in den politischen Gremien überhaupt einbringen. Im Vorfeld konnten sich alle relevanten Kräfte einbinden, doch hat nicht ein einziger Designer dabei mitgewirkt.
Ihnen reicht es nicht aus, dass etwas wiederverwertbar ist. Warum nicht?
Sie müssen sich die ganze Herstellungslinie ansehen. Zum Beispiel Papier: Die einzelnen Stationen bei der Herstellung sind der Forst, die Zellstoffproduktion in Skandinavien, der Transport, die Papierherstellung, der Weitertransport, die Weiterverarbeitung des Papiers zu einem Produkt, dann die Verkaufsstelle des Endprodukts, der Verbraucher und schließlich das Abfallunternehmen. An jeder Station entstehen Umweltbelastungen. Wenn ich davon ausgehe, dass die Recycelbarkeit einen Pluspunkt ausmacht, dann stehen diesem einen Pluspunkt im Vergleich beispielsweise bei der Zellstoffproduktion einhundert Umwelt-Minuspunkte gegenüber. Bei der Forstwirtschaft und der Papierherstellung sind es vielleicht zehn Umwelt-Minuspunkte. Bei der Weiterverarbeitung vielleicht zwei. Das heißt, sich allein auf Recycling zu stürzen, ist der falsche Ansatz. Denn im Vergleich zum Herstellungsprozess ist der positive Umwelteinfluss des Recyclings marginal. Und leider ist es so, dass zwischen 1990 und 2000 der Recyclinganteil bei der Papiererzeugung zwar anstieg, sich aber der Frischfaseranteil kaum verringerte. Das heißt: Es wurde einfach mehr und mehr Papier produziert und der Papierkonsum stieg. Die Recyclingpapiere haben die Frischfaserpapiere nicht ersetzt.
Woher kann ich denn als freiberuflicher Designer, als Einzelkämpfer, erfahren, welche Materialien ökologisch weniger bedenklich wären als andere?
Ehrlich gesagt: Sie haben keine Chance. Es tut mir wirklich leid. Es wäre so als ob einer Ihrer Mitarbeiter krank wäre, Sie sich die Beschriftung der Aspirin-Dose durchläsen und dann glaubten, Sie wären ein Arzt und könnten den Patienten in allen Bereichen gut behandeln.
Ganz konkret: Was raten Sie dem Designer, der umweltfreundlich gestalten möchte?
In vielen Branchen ist es üblich, dass man für eine Produktentwicklung Cluster bildet, also unterschiedliche Fachleute zusammengeführt werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn in einer solchen Expertenrunde auch jemand dabei wäre, der umweltwissenschaftliches Know-how hat.
Ich bin Kommunikations-Designer. Ich empfehle meinen Kunden gerne Papier mit einem Blauen Engel, verzichte auf UV-Lack und achte auf druckbogenfüllende Formate. Was kann ich mehr tun?
Es geht Ihrem Auftraggeber ja nicht darum, dass Sie soundsoviel Papier mit etwas bedrucken. Sie müssen herausfinden, was Ihr Auftraggeber wirklich will. Sie müssen sich an seinen Bedürfnissen orientieren. Zum Beispiel will er auf etwas aufmerksam machen, er plant eine Veranstaltung und möchte, dass Tausend Leute kommen. Jetzt lautet die Frage für den Designer: Wie kann ich das Ziel meines Kunden mit möglichst wenig Umweltbelastungen verwirklichen – vielleicht sogar ohne Papierverbrauch. Das ist die Herausforderung für Designer im 21. Jahrhundert. Es ist einfach so: Designer müssen vordenken.
Das Gespräch führte Boris Buchholz.
[Erschienen erstmalig Juli 2007 in der Designzeitschrift „agd|viertel“ der Allianz deutscher Designer]