Die Frage, ob es ein schwules Design gibt, beantworten Jens Mundry, Thomas Hüttmann und Robert Pollner – alle drei sind Mitarbeiter des Archivs des schwulen Museums Berlin.
Stimmt die Einschätzung, dass die meisten namhaften Modedesigner Schwule sind?
Jens Mundry: Das hängt damit zusammen, das Schwule eine bessere Sensibilität für Ästhetik, Farben und Wohnumfeld haben. Das fällt schon auf, wenn Du in eine schwule oder eine heterosexuelle Studentenbude guckst – in der Bude des Schwulen ist eine ganz andere Feinfühligkeit da.
Thomas Hüttmann: Die klassischen schwulen Berufe sind Friseur, Koch und Modedesigner.
Was ist denn anders in einer schwulen Wohnung?
Jens Mundry: Es ist alles durchdachter. Man merkt, dass mit einer Struktur und einer bestimmten Grundidee eingerichtet wurde.
Thomas Hüttmann: In einer Hetero-Studentenwohnung ist die Einrichtung eher willkürlich zusammengestellt. Da wird nicht nach einheitlichen Kriterien oder nach ästhetischen Gesichtspunkten eingerichtet.
Robert Pollner: Interessant ist auch, dass die Wohnung von einem geouteten Schwulen ganz anders aussieht als die Wohnung von jemanden, der noch nicht sein coming out hatte. Wenn deine Eltern nicht wissen, dass du schwul bist, hängst du dir andere Bilder an die Wand und richtest dich anders ein. Und du kleidest dich anders.
Jens Mundry: Ein Schwuler geht eher zu IKEA; IKEA hat ein sehr klares Design. Ein Hetero geht eben eher zu Möbel Kraft oder zu Möbel Höffner, wo es irgendwelche gruseligen Sachen zu kaufen gibt, wie sie auch bei Eltern und Großeltern schon herumstehen.
Alle meine Hetero-Freunde gehen zu IKEA.
Jens Mundry: Natürlich. In den letzten zehn Jahren hat der Hetero-Mainstream auch viel schwule Ästhetik aufgenommen. Bi- und Metrosexuelle machen bei den Schwulen Anleihen. Ich habe im Wedding einen jungen Türken gesehen, der hatte eine weiße Hose, rosa Polohemdchen, rosa Kappe, weiße Sneaker an und einen Mops dabei. So hätte ich als Schwuler vor zehn Jahren mal durch den Wedding laufen sollen – ich wäre gespannt, was die jungen Türken dann zu mir gesagt hätten.
Warum sind Schwule im Modebereich so erfolgreich?
Thomas Hüttmann: In Zeiten, in denen Homosexuelle noch stärker diskriminiert wurden – auch heute werden sie diskriminiert –, wurde versucht über die Kleidung einen internen Geheimcode aufzubauen, so dass man sich unter einander erkennen konnte. Zum Beispiel haben die Schwulen den Ohrring am Mann eingeführt. Als die Heteros auch Ohrringe trugen, haben Schwule ihre Ohrringe nur auf der rechten Seite getragen. Oder: Schwule haben in den 20er Jahren ihr Taschentuch auf eine bestimmte Weise aus der Fracktasche gucken lassen. Als das dann Hetero-Mode wurde, haben sich die Schwulen wieder etwas anderes einfallen lassen.
Jens Mundry: Ein Homosexueller muss sich mit der Frau in sich befassen. Speziell wenn er sich als Frau kleidet und stylt, beschäftigt er sich mehr als manche Frau mit der Garderobe, mit der Aufmachung. Er muss einfach viel mehr Aufwand betreiben, um sich als Frau darstellen zu können. Eine Frau muss sich nur irgendein Kleid, das ihr irgendwie passt anziehen, sie ist physisch sowieso eine Frau. Er dagegen muss sich mit Ästhetik, mit Farben, dem Styling und mehr auseinandersetzen. In der Konsequenz wird er viel sensibler. Welcher heterosexuelle Mann beschäftigt sich wirklich mit der Garderobe seiner Frau? Doch nur sehr wenige. Eine Ausnahme ist vielleicht Reizwäsche, die er ihr schenkt. Ein Homosexueller kennt sich einfach mit Kleidung besser aus als ein durchschnittlicher heterosexueller Mann.
Thomas Hüttmann: Aus meiner sexuellen Präferenz ergibt sich automatisch, dass ich genau gucke, ob sich jemand schön anzieht oder ob er herumläuft wie ein Hetero.
Jens Mundry: Es gibt einen großen Druck: In der schwulen Szene wird genau geguckt, welchen Fummel man an hat. Es gibt viel Konkurrenzdenken. Bei Hetero-Männern geht das vielleicht über Autos und Uhren. Bei uns Schwulen geht der Vergleich über die Mode. Wenn der eine eine Levis-Jeans trägt, dann muss der andere draufsatteln und eine Evisu tragen. Hat der Prada? Dann brauche ich Gucci!
Können Sie mir einige schwule Designer nennen?
Jens Mundry: Yves Saint Laurent, Christian Dior, Jean Paul Gaultier, Dolce und Gabbana, John Galeano, Karl Lagerfeld …
Thomas Hüttmann: Versace. Joop.
Jens Mundry: Der ist bisexuell. Der Gründer von Gucci war schwul, aber heute arbeiten bei Gucci einfach viele schwule angestellte Designer.
Und welche bekannten lesbische Designerinnen gibt es?
Thomas Hüttmann: Mir fällt Coco Chanel ein.
Jens Mundry: Jil Sander ist eine Lesbe.
Gibt es einen Unterschied zwischen schwulem und lesbischem Design?
Jens Mundry: Jil Sanders Mode ist super schlicht, da ist kein Schnörkel dran. Zwischen ihr und Jean Paul Gaultier liegen Galaxien.
Also gibt es eindeutig schwules Design?
Jens Mundry: Ja, klar. Es ist schrill, es ist bunt, es ist überspitzt. Auch Ralph Laurent und Laura Ashley sind sehr bunt, aber ihre Farben sind ganz anders, es ist Balsam für die Seele. Schwules Design ist für Paradiesvögel, es ist kein Balsam, sondern: Kreisch! Man will ja auffallen und der bunteste Guppy im Aquarium sein. Daher würden sich Schwule nie die klassische Schrankwand kaufen.
Thomas Hüttmann: Heteros orientieren sich stark bei dem, was sie bei Großeltern und Eltern gesehen haben. Schwule sind in dieser Beziehung offener. Auch weil man sich abgrenzen will von der bürgerlichen Ästhetik.
Jens Mundry: Wobei ich bei älteren Schwulen schon wieder einen Trend zu althergebrachten, konventionellen Elementen sehe …
Die Schrankwand kommt im Alter doch?
Jens Mundry: Nein, die kommt auf gar keinen Fall.
Thomas Hüttmann: Es gibt kaum eine Wohnung von einem Leder-Schwulen, bei dem nicht der röhrende Hirsch an der Wand hängt. Teils ist das bestimmt Parodie, teils aber vielleicht auch die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit.
Das Gespräch führte Boris Buchholz.