[Mai 2009] Die gute Nachricht ist: Das Bundeswirtschaftsministerium befasst sich mit ‚Design für Alle’ und gibt den deutschen Unternehmen damit Denkanreize, bessere Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze für mehr Menschen anzubieten. Denn die schlechte Nachricht ist, dass eben das noch viel zu wenig Firmen tun. In Berlin wurde Mitte Mai eine Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung von ‚Design für Alle’ vorgestellt.
Prof. Birgit Weller, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Internationalen Design Zentrums Berlin, fasst es so zusammen: „Wir stehen bei ‚Design für Alle’ noch am Anfang der Auseinandersetzung.“ Gemeinsam mit dem Institut für Sozialforschung und Projektberatung SIBIS und dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung RWI hat das IDZ nach guten Umsetzungs-Beispielen von ‚Design für Alle’ und den mit dem Konzept verbundenen wirtschaftlichen Impulsen geforscht. Die Studie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie entstand, kommt unter anderem zu dem Schluss, dass ‚Design für Alle’ Einzug als Pflichtfach in die Berufsschulen, Fachhochschulen und Universitäten halten müsse. Außerdem müsse in die Weiterbildung investiert werden – neben Designern, Architekten und Stadt- und Raumplanern müssten sich auch verstärkt Mitarbeiter aus Fertigung, Marketing, Vertrieb oder Gebäudemanagement mit dem Thema vertraut machen. Prof. Birgit Weller sagte bei der Vorstellung der Studie in Berlin: „Wenn wir nicht heute in Forschung und Bildung investieren, wird es uns teuer zu stehen kommen.“
Denn im Jahr 2030 wird der Anteil der über 60-Jährigen bei etwa 33 Prozent liegen; das sind etwa 26 Millionen Menschen. Gleichzeitig werden wir immer älter; die Zahl der hochaltrigen Menschen nimmt zu. 2005 hatten 6,7 Millionen Deutsche einen Schwerbehindertenausweis – von den über einhunderttausend Schwangeren und den Millionen vorübergehend Verletzten einmal abgesehen. Der Markt für benutzerfreundliche Produkte, die selbsterklärend sind und den Handlungsspielraum des Einzelnen erweitern, wächst stetig. Hinzu kommt, so führte Dr. Rainer Tiehoff, Geschäftsführer des Demographie Netzwerks, aus, dass eine „riesige Herausforderung vor uns“ liege. Im Jahr 2020 würden durch die Altersentwicklung neun Millionen Erwerbspersonen der Wirtschaft fehlen. Die Lösung: „Die Unternehmen müssen mit einer alternden Belegschaft produzieren – da führt kein Weg dran vorbei.“ Und die wiederum brauche ergonomisch ausgerichtete Arbeitsplätze, Maschinen, die einfach und intuitiv zu bedienen sind, und moderne Arbeitszeitmodelle.
Die beschreibende Studie, die IDZ, RWI und SIBIS vorgelegt haben, bemängelt zwar, dass es bisher noch zu wenig Aktivitäten der Unternehmen in Richtung ‚Design für Alle’ gäbe. Sie benennt aber auch 15 Best-Practice-Beispiele, die Anregungen geben, wie ein ‚Design für Alle’ aussehen könnte. Da wird der höhenverstellbare und von unten bequem bedienbare Backofen „Liftmatic“ von Bosch und Siemens vorgestellt, das Dienstleistungskonzept der Scandic Hotels – vom Allergiker über den Rollstuhlfahrer bis zur Familie und dem Geschäftsreisenden wird auf jeden Gast eingegangen – wird präsentiert und der ergonomische Einkaufswagen der Firma Wanzl Metallwarenfabrik beworben.
Ivor Parvanov vom Bundesverband der Deutschen Industrie war klar in seiner Bewertung: „Gutes ‚Design für Alle’ erhöht die Marktchancen – das sind Chancen, die sich die Unternehmen nicht entgehen lassen sollten.“ Gleichzeitig kritisierte er aber auch den Begriff ‚Design für Alle’, der zu ungenau und zu stark negativ besetzt sei. Er denke sofort an „Krankheit“ und „Rehamaßnahmen“.
Die Autoren der Studie kommen zu einem ähnlichen Schluss: Es müsse überprüft werden, ob der Begriff ‚Design für Alle’ gut nutzbar sei. Die meisten Unternehmen würden eher Worte wie ‚Barrierefreiheit’, ‚Generationenkonzept’, ‚Usability’, ‚Accessibility’ oder ‚Demografiefestigkeit’ in ihrer Außendarstellung verwenden. Ob die Einführung eines ‚Design für Alle’-Gütesiegels eine brauchbare Strategie wäre, sei umstritten, so die Autoren. Fest stehe allerdings, dass es mehr Foren für den Austausch der ‚Design für Alle’-Akteure in Form von Kongressen, Workshops und Publikationen geben sollte. Und mehr Forschung.
Das scheint dann auch der Schwachpunkt der Studie zu sein: Zwar werden über ein Dutzend guter Beispiele aufgeführt, doch ergeht sich die Studie in ihren Erkenntniss-Deutungen und Handlungsempfehlungen im schwammigen Konjunktiv. Allerdings: Eine abschließende Bewertung darf noch nicht gefällt werden. Zur Studien-Präsentation lag nur die Kurzfassung vor. Die eigentliche Studie stehe, so ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums, Ende der dritten Mai-Woche zum Download unter www.bmwi.de bereit.
bb
[Erstmals veröffentlicht im Mai 2009 auf www.agd.de]